Thomas Moser: 
Corona und die Selbstentmachtung der Parlamente

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Beispiellose Selbstentmachtung
Grundsätzliche Kritik wird also nicht geäußert werden. Vielleicht aber kann man ein paar Dissidenten entdecken, so wie 1999 der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, als die Bundesrepublik und seine Partei Bündnis 90/Die Grünen beim Angriff auf Jugoslawien dabei waren. Abweichler wären in diesen Zeiten der allgemeinen Konformität schon ein demokratischer Gewinn.

Der Bundestag wird also wahrscheinlich zustimmen, sich anschließend vom Acker machen und für die nächsten vier Wochen in die selbst-verordnete politische Quarantäne zurückziehen. Es ist eine beispiellose Selbstentmachtung.

Wie bewusst sie geschieht, zeigt noch folgender Vorgang. Der Bundestag ändert seine Geschäftsordnung, wonach er auch beschlussfähig sein will, wenn möglicherweise nur die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist.

Im Landtag eines Bundeslandes wird zurzeit sogar diskutiert, ob man die sogenannte "Immunität" der Abgeordneten nicht lockern sollte. Gegen Abgeordnete darf beispielsweise erst dann strafrechtlich ermittelt werden, wenn das Parlament zustimmt und die Immunität des Delegierten aufhebt. Damit soll vermieden werden, dass die Exekutive, eine Staatsanwaltschaft etwa, die Legislative außer Kraft setzen kann.

Unter den Vorzeichen von Corona wurde nun folgender Vorschlag geäußert: Sollte eine Gesundheitsbehörde den Notstand ausrufen, wie jetzt, soll der künftig auch für die Parlamentarier gelten, die dann das Parlament nicht mehr betreten dürften. Das wäre perspektivisch die programmatische Selbstaufgabe der Parlamente. Und von der "Immunität" eines gewählten Abgeordneten bliebe nur bittere Ironie.

Kontaktverbot - Einwände?
Wie oft, wenn Entscheidungen mutwillig gefasst werden, kommen sie billig und lächerlich daher. Weil sich die Exekutoren - zum Glück - nicht wirklich getraut haben, eine strenge Ausgangssperre zu verhängen mit Soldaten vor den Haustüren, kommt die Maßnahme rhetorisch abgespeckt daher: Wird nun Ausgangsbeschränkung genannt inklusive der Pflicht der Bürger, den Ordnungskräften "triftige Gründe" für ihren Ausgang zu nennen. "Wohin gehen Sie?" - "In die Sonne." - "Warum?" - "Für meine Gesundheit." Das ist die zwangsverhöflichte Form von: "Geht dich das was an, Cop?"

Und nun die Sache mit dem "Kontaktverbot". Eigentlich ein unglaublicher Übergriff derjenigen, die meinen das Recht zu haben, im Namen des Staates zu handeln. Doch zugleich wird das Kontaktverbot selber wieder eingeschränkt.

Zwei Personen dürfen zusammen rausgehen, wenn sie 1 Meter 50 Abstand halten. Das heißt also, wenn man zu anderen Personen zwei Meter Abstand hält, dürfen sie auch zu dritt, zu zehnt, zu hunderten in den öffentlichen Raum. Und genau so sieht es da ja auch aus. In den Supermärkten, den Bussen, auf den Plätzen.

Nach der Selbstentmachtung der Parlamente braucht die Gesellschaft Orte und Formen, wie man die Einwände und den Widerspruch zu dem verantwortungslosen und illegitimen Ausnahmezustand möglich und sichtbar machen kann. Versammlungen sind verboten.

Wie wäre es aber zum Beispiel mit einer Gänsemarsch-Demonstration? Ein Zug von mehreren Personen, die im Abstand von zwei Metern hintereinander im Gänsemarsch durch die Straßen ziehen? Rein zufälliger Weise in die gleiche Richtung und völlig gesundheitsbewusst mit einem Tuch vor dem Gesicht.