Rede vor dem Reichstag anlässlich der Abstimmung über die Verlängerung des Syrieneinsatzes der Bundeswehr

Ulrich Wohland
17.10.2019

Wir alle wissen:

Gegen Alkoholismus hilft nur Alkohol.
Gegen Übergewicht helfen nur Kalorienbomben.
Gegen verstopfte Straßen helfen nur immer mehr und größere Autos.
Gegen Kriege helfen nur Waffen.
Und gegen die Drohung mit Kriegen helfen nur Kriege selbst, die einfach hin und wieder „ausbrechen“ müssen, damit die Logik der Abschreckung weiterhin logisch ist.

Alles klar?


Eines Tages wird es deshalb heißen:
damit die atomare Abschreckung noch abschreckend wirkt, muss hin und wieder eine Atombombe gezündet werden – sagen wir über einer Stadt mittlerer Größe.

Kriege sind eine Krankheit.
Eine Krankheit des Denkens, eine Krankheit einer weitgehend männlich kranken Kultur,
eine Krankheit einer kranken Politik, die verseucht ist von narzistischem Machtdenken, narzistisch kranker Männer,
unempfänglich für menschliches Leid,
ohne Empathie für die Bedürfnisse von Menschen,
nach Sicherheit und Frieden.

Wo Vernunft und Menschlichkeit walten sollte,
herrscht Kalkül und der kalte Algorithmus der Macht.

Wenn Krieg eine Krankheit ist, was aber ist dann ihre Medizin?

Wir stehen hier vor dem Parlament, wir stehen hier vor dem Reichstag.
Hier wird, wie es bisweilen heißt, über Kriege und Frieden mitentschieden. Hier ist der Ort infiziert mit der Pestilenz des Krieges. Hier ist aber auch der Ort, an dem die Medizin verabreicht werden kann.

Was aber ist die Medizin gegen Krieg?

Die Medizin heißt Demokratie.
Demokratie ist das Vademecum, das Antidot, das Gegengift gegen die Pestilenz des Krieges.

Genauer gesagt: die Demokratie könnte das Gegengift sein, wenn,
ja wenn, die unvollständige, die unvollendete, die unvollkommene Demokratie sich weiterentwickelt,
wenn ihr medizinisches Potential nicht künstlich beschränkt, sondern bewusst ausgeweitet werden würde,
auf alle Bereiche des Lebens,
auch die Fragen von Sicherheit und Frieden.

Doch das geschieht nicht. Der Bundessicherheitsrat tagt weitgehend im Geheimen und die Einsätze der Bundeswehr erfolgen über Jahre hinweg ohne wirkliche öffentliche Bilanzierung ihrer Kosten, ihrer vermeintlichen Erfolge und ihrer realen Misserfolge.

Wir erinnern uns: Die Bundesswehr ist immer noch eine Parlamentsarmee. Alle Einsätze der Bundeswehr werden demokratisch entschieden - alle Einsätze der Bundeswehr - derzeit fünfzehn an der Zahl, werden jedes Jahr verlängert oder beendet – demokratisch hier in diesem Parlament.

Das ist der sogenannte Parlamentsvorbehalt.

Unser Parlament – vermutlich einmalig in der Welt - entscheidet über Krieg und Frieden - jedes Jahr 15 Mal. 15 Mal könnten wir, die bundesdeutsche Gesellschaft über den Unsinn oder die Absurdität von 15 Militäreinsätzen diskutieren. Wenn, ja wenn die Friedensbewegung diesen 15-fachen Skandal 15 Mal skandalisieren würde.

Es gibt keine Entscheidung über militärische Aktivitäten und Rüstungsprojekte, die so klar und eindeutig an einem langfristig bestimmbaren Termin im Parlament abgestimmt wird. Es gibt keine militärische Aktivität, kein Rüstungsprojekt, dass so einfach und kalkulierbar von der Friedensbewegung blockiert werden könnte, wie die Militäreinsätze – wenn wir es wollten.

„Nichts ist gut in Afghanistan“ und nichts ist gut in Syrien und nichts ist gut in allen anderen Eisatzgebieten der Bundeswehr. Überall wären nicht-militärische Alternativen besser oder weniger schädlich, als der Einsatz und die Präsenz militärischer Gewalt durch die Bundeswehr.

Öffentliche Debatten über nicht-militärische Alternativen und Lobbyarbeit in den Parteien und als Graswurzellobbyarbeit in den Städten – das ist unser demokratischer Auftrag, das ist der Auftrag dieser Kampagne.

„Macht Frieden“ darf erst der Anfang sein. „Macht Frieden“ ist die Forderung, nicht nur beim Einsatz in Syrien, sondern bei allen anderen 14 Einätzen.
Denn jene Kräfte, die den Parlamentsvorbehalt abschaffen wollen, werden stärker und stärker. Das krankmachende Denken greift um sich.

Gegen den Abbau demokratischer Rechte hilft nur, ihre selbstverständliche Nutzung. Machen wir die Entscheidung über Krieg und Frieden zu Entscheidungen der zivilen Gesellschaft hier in diesem Parlament - regelmäßig und immer wieder und heute!

Gegen Alkoholismus hilft nur der Verzicht auf Alkohol.
Gegen Adipositas hilft nur weniger Kalorien.
Gegen Staus helfen nur weniger Autos und mehr ÖPNV.
Gegen Waffenexporte hilft nur der Stopp der Waffenproduktion.
Und gegen Kriege hilft nur das demokratische Nein
zu allen militärischen Aktivitäten, hier in diesem Parlament
Schützen wir unsere Demokratie, indem wir sie weiterentwickeln,
schützen wir unsere Gesellschaft indem wir die Krankheit des Krieges ausrotten.

Denn eines ist sicher:
Mit mehr Demokratie wächst die Chance auf weniger Krieg!
In diesem Sinne „Macht Frieden“.

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Falls der Link zur Quelle (in der Überschrift) nicht funktioniert, kann man die Datei auch hier herunterladen:
Rede-Uli-Wohland.pdf
Rede-Uli-Wohland.odt