Antisemitismus-Bekämpfung

Hans von Sponek und Richard Falk: An die eigene Vergangenheit gekettet – Deutschlands Einstellung zur Ungerechtigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk

Der Beschluss des Bundestages vom 17. Mai, mit dem die BDS-Kampagne als ein Beitrag zur zunehmenden Bedrohung durch den Antisemitismus in Europa verurteilt wird, ist ein schwerwiegender Anlass zur Sorge. Er markiert die BDS, eine gewaltfreie palästinensische Initiative, als antisemitisch und fordert die Bundesregierung auf, nicht nur der BDS selbst, sondern einer jeden sie fördernden Organisation jegliche Unterstützung zu verweigern. Der Beschluss verweist auf die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden, und zwar ohne Israels anhaltenden Missbrauch des grundlegendsten Menschenrechts, der Selbstbestimmung, bezüglich des palästinensischen Volkes auch nur zur Sprache zu bringen. Ebenso wenig verweist dieser Beschluss auf die bedeutende Rolle, die eine frühere BDS-Kampagne, nämlich die gegen den Rassismus Südafrikas, bei der Herbeiführung einer gewaltlosen Beendigung des dortigen Apartheid-Regimes gespielt hat; auch fehlt jeder Hinweis darauf, dass selbst diejenigen, die aus strategischen oder pragmatischen Gründen gegen diese BDS-Kampagne gewesen waren, nie versucht hatten, deren Vertreter zu dämonisieren.
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Um unsere Position auf den Punkt zu bringen: Wir glauben, dass diese Entschließung des Bundestags der falsche Weg ist, aus der deutschen Vergangenheit zu lernen. Anstatt sich für Gerechtigkeit, Recht und Menschenrechte zu entscheiden, wurden vom Bundestag das palästinensische Volk kein einziges Mal auch nur erwähnt; und so auch nicht die Torturen, denen dieses Volk ausgesetzt ist – und gegen die sich die BDS-Initiative schließlich wendet. Wer für eine israelische Unterdrückungs- und Expansionspolitik grünes Licht gibt, befürwortet damit implizit eine Politik der kollektiven Bestrafung und des Missbrauchs der Schwachen.

 

Neues zum Thema Raumverweigerung für Unterstützer der BDS-Bewegung von Andreas Zumach:

Ein weiteres deutsches Gericht entscheidet zugunsten von Anhängern der BDS-Bewegung -
Pressemitteilung 16. September 2019

Am 13. September 2019 hat das Verwaltungsgericht Köln die Stadt Bonn angewiesen, den Deutsch-Palästinensischen Frauenverein e.V. zum jährlichen Bonner Kultur- und Begegnungsfest „Vielfalt! – Bonner Kultur – und Begegnungsfest“ zuzulassen. Die Stadt hatte den Verein wegen seiner Unterstützung der BDS-Bewegung für palästinensische Rechte ausgeschlossen. Nach Ansicht des Gerichts hat die Stadt Bonn „nicht einmal ansatzweise“ nachgewiesen, dass dieser Ausschluss gerechtfertigt war.
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In seinem Urteil hat das Kölner Gericht den Status dieser und anderer Anti-BDS-Beschlüsse geklärt: „Sowohl der Ratsbeschluss vom 12.6.2019 als auch die Beschlüsse des Landtags NRW vom 20.9.2018 oder des Deutschen Bundestages vom 17.5.2019 (BT-Drs. 19/10191) sind keine Rechtssetzungsakte, sondern politische Resolutionen bzw. Willensbekundungen. Sie allein vermögen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen bestehenden Rechtsanspruch einzuschränken.“

Der Ausschluss des Frauenvereins vom Festival aufgrund seiner Unterstützung der BDS-Bewegung „stellt eine sachlich nicht einmal ansatzweise gerechtfertigte Ungleichbehandlung“ dar. Das Gericht befand, dass das Verhalten der Stadt Bonn gegen das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3) verstößt und gleichzeitig das Grundrecht des Vereins auf Meinungs- und Äußerungsfreiheit (Artikel 5) verletzt.

Die Meinungsfreiheit umfasst die Freiheit, Boykottkampagnen zu diskutieren und dazu aufzurufen, und wird auch durch Artikel 10 (Meinungsfreiheit) und Artikel 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt, die die Bundesrepublik Deutschland in ihre nationale Gesetzgebung integriert hat.

Das Verwaltungsgericht Köln folgt mit seiner Entscheidung zwei früheren Urteilen des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Rechtssache 3 A 3012/16) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Rechtssache 10 ME 48/19), die auch den Zugang von BDS-Aktivisten zu öffentlichen Einrichtungen schützten, die von den Kommunen zunächst abgelehnt worden waren.
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Rolf Verleger hat in der  „Freiheitsliebe“ einen wichtigen und erhellenden Artikel zum Thema Antisemitismus-Bekämpfung veröffentlicht: Antisemitismusbeauftragte fördern Antisemitismus. Dabei überzeugt nicht nur seine Argumentation, sondern auch der geschichtliche Überblick über Juden in Europa. 

Hier einige Zitate daraus zum Appetitanregen:

Es wird heutzutage viel Unsinn über Antisemitismus geredet, vor allem von Politikern und einflussreichen Medien und vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, der sich nicht entblödet, die Mitglieder der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ (zu denen auch ich gehöre) in die Nähe des Antisemitismus zu rücken.
Daher möchte ich im Folgenden einige Dinge klarstellen, und zwar:

  1. Der deutsche Antisemitismus von 1880-1945 war die (zuerst „nur“ diskriminierende, dann mörderische) rassistische Reaktion auf eine konkrete historische Situation. Diese historische Situation ist vorbei, und so ist auch dieser Antisemitismus vorbei.
  2. Demgemäß gehen antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung kontinuierlich zurück. Negative Meinungen finden sich dagegen gehäuft zu Immigranten, Roma und Muslimen (aufgrund ähnlicher sozialer Gegebenheiten wie vor 100 Jahren bei Juden).
  3. Muslime haben gehäuft negative Meinungen über Juden. Ebenso haben Juden gehäuft negative Meinungen über Muslime. Diese Sachlage verweist auf die Notwendigkeit gegenseitigen Respekts.
  4. Die einseitige Heraushebung von Antisemitismus als gesellschaftlichem Übel durch Politik und Medien ist weder gerechtfertigt noch zielführend – im Gegenteil, sie fördert ihn.

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In Bund und zahlreichen Bundesländern wurden Antisemitismusbeauftragte eingesetzt, viele Städte haben Resolutionen „Gegen jeden Antisemitismus“ verabschiedet. 

Diese Maßnahmen wurden jetzt ergriffen, über 70 Jahren nach Ende der Hitlerdiktatur, zu einem Zeitpunkt, zu dem negative Meinungen über Juden auf einem historischen Tiefstand liegen (s. oben (2)), während gleichzeitig negative Meinungen über Muslime, über Immigranten, und über Roma sehr weit verbreitet sind (s. oben (2)) und während sich unter anderen Bevölkerungssegmenten Deutschlands ein Gefühl des Abgehängtseins breitmacht, das Radikalnationalisten wie der AfD Anhänger beschert – z. B., aber nicht nur, in ostdeutschen ländlichen Gebieten wie auch in vielen europäischen Ländern. 

Wenn sich also ein großer Teil der Bevölkerung mit mehr oder weniger Recht diskriminiert und ausgegrenzt fühlen kann: Was passiert dann, wenn man eine Gruppe herausgreift, der es wahrlich nicht am schlechtesten geht? Das kann doch nur kontraproduktiv sein, denn es entsteht eine „Opferkonkurrenz“.

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In einfachen Worten: Die Einrichtung von Antisemitismusbeauftragten erzeugt Antisemitismus, durch das Fehlen auch nur annähernd ähnlicher Organe für mindestens ebenso, in Wahrheit wohl wesentlich mehr diskriminierter Gruppen.

 

Paul Schreyer hat eine neue Webseite unter die Lupe genommen, die über „Antisemitismus im Alltag“ aufklären will. Seine Einwände gegen die Argumentationsweise auf der Seite legte er dar in seinem Artikel
„Die Antisemitismus-Falle: Wie ein Begriff manipuliert und entwertet wird“. Im Folgenden präsentieren wir ein Stück vom Beginn des Artikels:

  

Die Antisemitismus-Falle: Wie ein Begriff manipuliert und entwertet wird

Lanciert von der ZEIT-Stiftung und unterstützt unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung ist am 12. Juni eine neue Webseite vorgestellt worden, auf der über Antisemitismus im Alltag aufgeklärt werden soll. Präsentiert werden dort Aussagen, die den Machern zufolge „offen oder versteckt antisemitisch“ sind, sowie Argumente, mit denen solchen Äußerungen begegnet werden kann. Der Ansatz erscheint löblich, doch schaut man genauer hin, stellen sich Fragen – die letztlich zum Kern des deutsch-israelischen Verhältnisses führen.

So findet sich auf der neuen Webseite „Stop Antisemitismus“ neben vielen klar rassistischen Formulierungen auch folgendes Zitat, zugeschrieben einer Lehrerin aus Frankfurt am Main: „Ich habe natürlich nichts gegen Juden, die sind für mich ganz normale Menschen wie alle anderen. Aber das, was in Israel passiert, kann ich als Menschenrechtlerin einfach nicht hinnehmen.“ Diese Aussage wird als antisemitisch eingeordnet. Dass sich die Lehrerin als Menschenrechtlerin bezeichne, sei zudem eine „Selbsterhöhung“, die „auf eine arrogante, selbstgerechte Haltung“ hinweise. Der Nahostkonflikt sei häufig eine „Projektionsfläche für judenfeindliche Gefühle“. Weiter heißt es auf der Webseite:

„Das, was sich viele Menschen nicht über Juden zu sagen trauen, ersetzen sie mit ‘die Israelis’ oder ‘Israel’ und wähnen sich damit auf der sicheren Seite. (…) Die Lehrerkraft stellt einen expliziten Zusammenhang her, indem sie zunächst von ‘den Juden’ spricht, gegen die sie nichts habe, und im weiteren dann von Israel, ganz so als seien ‘die Juden’ mit dem Staat Israel identisch. (…) Gleichzeitig betont der Sprecher hier, dass es sich bei Juden um ‘ganz normale Menschen wie alle anderen’ handelt. Wenn er oder sie das wirklich denken würde, müsste diese Aussage nicht noch extra hervorgehoben werden. Der Sprecher hier ist eine Lehrkraft. Bildung schützt leider nicht vor antisemitischen Denkmustern.“ 

Der Kommentar macht deutlich, wie problematisch der verfolgte Ansatz ist. Wenn schon die Aussage, „was in Israel passiert, kann ich nicht hinnehmen“, als antisemitisch eingestuft wird, wenn der Hinweis, man „habe nichts gegen Juden“, zum Beweis einer versteckten Judenfeindschaft mutiert, dann hat das notwendige Engagement gegen den realen und nicht bloß imaginierten Judenhass kaum eine Chance.
Das Beispiel ist kein Einzelfall. So wird auf der Webseite auch ein „links-politisch engagierter Akademiker aus Berlin“ mit den Worten wiedergegeben: „Israelkritik muss erlaubt sein“. Auch diese Feststellung gilt den Machern des Infoportals als versteckter Antisemitismus. Im einordnenden Kommentar heißt es, bereits der Begriff „Israelkritik“ sei anstößig:

„Der gesamte Staat Israel wird gleichgesetzt mit der Politik der Regierung, als ob alle Bürger die Politik der Regierung tragen würden. Dies ist genauso wenig der Fall, wie in Deutschland alle Bürger hinter der Politik der aktuellen Regierung stehen. Zugleich sagt der Sprecher ‘muss erlaubt’ sein, er geht also davon aus, dass es nicht erlaubt ist, an Israel Kritik zu üben, es also ein Sprechverbot geben würde. Dies ist nicht der Fall, es gibt kein Sprechverbot, Kritik zu üben. In Demokratien wie Deutschland, Österreich oder Israel ist Kritik an der Staatsregierung erlaubt und erwünscht. In Deutschland ist dies im Grundgesetz verankert. (…) Mit seiner Behauptung macht sich der Sprecher selbst zum Opfer: ‘Ich darf nichts über Israel sagen, mir wird der Mund verboten.’ Dieser Versuch, sich selbst als Opfer zu erklären, entbehrt jeder Grundlage und ist unangebracht.“ 

Dass eine solche Aussage kaum haltbar ist, haben zuletzt die brisanten Erfahrungen des Kommunikationswissenschaftlers Prof. Michael Meyen gezeigt, der 2018 an der Universität München eine Veranstaltung mit dem Titel „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ organisierte. Er, und noch mehr der Referent Andreas Zumach, erlebten im Zusammenhang mit der Veranstaltung vielfältige Rufmordversuche. Anlass des Vortragsabends war der umstrittene Münchner Stadtratsbeschluss von 2017 gewesen, wonach Veranstaltungen, die sich mit der israelischen Besatzung Palästinas auch nur „befassen“, in städtisch finanzierten Räumen nicht mehr erlaubt sind – was das Verwaltungsgericht München nachträglich für rechtens erklärte.