Lesefrüchte

Februar 2020

Hier sammeln wir Artikel, die auch über den Tag hinaus interessant sind.
Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, verschieben wir ältere Empfehlungen ins „Archiv“.

 

  • NachDenkSeiten: Im Geiste des Bürgerkriegs (Hinweis des Tages Nr. 3 vom 24.02.2020)

    Wer glaubte, die moderne Welt würde immer komplexer und ausdifferenzierter werden, muss sich wohl getäuscht haben. Zwei klare Lager haben sich auf dem darniederliegenden Pluralismus gebildet, die endlich wieder eine einfache schematische Aufteilung in Gut und Böse ermöglichen: Hier Demokraten, dort Faschisten und Nazis. Hier die Verteidiger der offenen Gesellschaft, dort ihre Feinde. Mehr scheint es nicht mehr zu geben, darunter geht es nicht.
    Es gab mal eine Zeit, da war klar und eindeutig definiert, was ein Nazi war. Auch wer im Geschichtsunterricht gut aufgepasst hatte, wusste, aus welchen ideologischen Bausteinen sich der Nationalsozialismus speiste: Totalitarismus, Rassenwahn, Antisemitismus, völkischen Überlegenheitsphantasien sowie Blut-und-Boden-Ideologie.
    Schon aufgrund der ungeheuerlichen und historisch einzigartigen Verbrechen, die im Namen dieser Ideologie begangen wurden, überlegte man sich dreimal, wen man als Nazi bezeichnete. Seit 1945 war und ist es das schlimmste Bannwort, mit dem man den politischen Gegner belasten kann. Der angemessene Umgang mit ihm resultierte aus politischem Verantwortungsbewusstsein und vernunftgeleiteter Folgeabschätzung für die demokratisch-politische Kultur.
    Doch in unserer medialen Aufmerksamkeitsökonomie scheint bis auf den Hashtag nichts mehr heilig zu sein. Wie Junkies treten Medien und Politiker eine Empörungswelle nach der anderen los. Ob Antisemit, Faschist oder Nazi – es herrscht die Hyperinflation der Bannwörter. Man wirft mit ihnen um sich, als seien es Schneebälle. Skrupel ob ihrer Instrumentalisierung als ultimative politische Totschlagkeule scheinen nicht mehr existent zu sein. Mit der fatalen Folge, dass sich die Begriffe abnutzen und ihren historischen Sinngehalt verlieren.
    Egal ob CDU, Grüne, FDP oder Linke, sie alle versuchen, die AfD als Wiedergeburt der NSDAP darzustellen. Dabei reicht ein Blick in beide Parteiprogramme, um den Wahnwitz dahinter zu erkennen. Genauso vermessen waren nach der Wahl von Kemmerich mit Stimmen der AfD in Thüringen die zahllosen Analogien zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, zu Hindenburg und Hitler. Es ist die Medienstrategie der maximalen Apokalyptik. Doch der Effekt ist das Gegenteil vom Erhofften – und macht die AfD nur noch stärker.
    (Quelle: Makroskop)

    Anmerkung unseres Lesers A.M.: Der Kommentar von Tobias Riegel zum Amoklauf von Hanau gehört zusammen mit dem von Sebastian Müller bei Makroskop zu den Lichtblicken des heutigen Tages
    Gleiches galt zur thüringischen Wahlfarce.
    Als Gegenpol dazu versucht ein Kommentar des Bayerischen Rundfunk, eine Linie von den “Verschwörungstheorien” des Daniele Ganser zu den Morden von Hanau zu ziehen.
    Und hier nun wird es tatsächlich interessant, denn vor dem Eklat in Thüringen und den Morden von Hanau war mir aufgefallen, wie sonderbar die Fronten im Stadtrat von Bautzen über die Verleihung des ‘Bautzner Friedenspreises’ an Daniele Ganser verlaufen sind.
    Hier forderten Grüne, SPD und Linke eine Distanzierung des Stadtrats, während sich die Stadträte von CDU, FDP, Freien Wählern und AfD sogar in großer Zahl zur Preisverleihung begaben.
    Das zeigt, dass die Parteigrenzen in Gesamtdeutschland nichts mehr, ‘links’ und ‘rechts’ kaum noch das bedeuten, was sie vor 25 Jahren bedeuteten
    Es kommt für uns aber darauf an, folgende Kernziele zu erhalten:

    - die Rede- und Meinungsfreiheit
    - den Frieden in Europa
    - und wirtschaftlich u.a. eine stabile und zukunftsfähige Versorgung mit Energie
    Der gemeinsame Kampf für die Meinungsfreiheit schließt die eine oder andere Meinungsverschiedenheit eben nicht aus.

    Es kommt darauf an, sie sachlich auszutragen und tragfähige Kompromisse wieder möglich zu machen.

     

  • Götz Eisenberg: Die neuen Kleider der Stadt - 
    Der Kaiser ist nackt und bedeckt seine Blöße mit einem Leitbild.

    (...)
    Noch besitzen die Grundannahmen des Neoliberalismus den Status einer zivilen Religion, deren Glaubensbekenntnis der freie Markt, der schrankenlose Wettbewerb und das ewige Wachstum ist. Dass es genau dieses Glaubensbekenntnis ist, das den Planeten gegen die Wand fährt, diese Lektion bekommt die Menschheit gerade im Rahmen eines katastrophenpädagogischen Curriculums beigebracht. Eine verzweifelte Lerntheorie setzt darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen Unglück und Einsicht gibt. Wer die Reaktion der Masse der Bevölkerung in diesem Lande auf die Katastrophenmeldungen der letzten Zeit beobachtet, wird an der Wirksamkeit der Katstrophendidaktik zweifeln. Die Absatzzahlen der SUVs und die Zahl der Flugreisen erreichen ein neues Rekordniveau und auch am sonstigen Konsumverhalten sind keine nennenswerten Veränderungen zu beobachten. Pro Jahr trinken die Deutschen über drei Milliarden Mal im Gehen einen Kaffee aus plastikbeschichteten Bechern, essen rund eine Milliarde Tiefkühlpizzen und jede Menge anderes Junkfood und lassen sich 3,6 Milliarden Pakete zuschicken. Das Verhalten der Leute lässt sich nur als verschwiegene Apokalypse-Sehnsucht deuten, die eine Spielart der von Erich Fromm beschriebenen Nekrophilie darstellt. Eine den ganzen Planeten bedrohende Katastrophe scheint deswegen eine so reizvolle Option zu sein, weil mit ihrem Eintreten jedes Leben erlischt, nicht nur meines.

    Doch zurück zur Krise der Städte. Das Sterben der Städte begann, als die großen Ketten den lokalen Einzelhandel zu vertreiben begannen. Die Spekulation blühte, die Mieten stiegen ins Unermessliche, immer mehr inhabergeführte Geschäfte kapitulierten. In diesen Phänomenen manifestiert sich nicht der schlechte Charakter oder die „Gier“ der Ketten-Inhaber, sondern die Konzentrationstendenz des Kapitals. Die Enteignung der kleinen Ladenbesitzer und Kapitaleigner, heißt in Marx‘ Kapital, „vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot.“ Das sei der Dynamik der kapitalistischen Akkumulation geschuldet, Ausdruck des „Wolfsgesetzes“ der kapitalistischen Konkurrenz.
    (...)

     

  • Aus den NDS: Rainer Mausfeld: Kampf gegen Rechts heißt Kampf gegen Links 

    Die aktuellen „Dammbruch“-Empörungen zu Thüringen sind in weiten Teilen vorgeschoben, sagt Rainer Mausfeld. Denn rechte bis rechtsextreme Haltungen sind seit Beginn der Bundesrepublik in den Parteien der sogenannten Mitte fest verankert. Der Kampf der politischen Zentren der Macht gegen Rechts war und ist in Wahrheit immer ein Kampf gegen Links. Es ist beschämend, wie eilfertig weite Teile der Linken auf die ausgelegten Wortköder hereinfallen und Arm in Arm mit Merkel und Seehofer ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts bekunden – jeder wirklich Linke müsste es als eine Beleidigung empfinden, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Mit dieser Strategie hat es die neoliberale Mitte geschafft, die Linke in permanente Angst zu versetzen, als rechtsoffen zu erscheinen, und sie wichtiger Kernthemen beraubt. Doch in Thüringen wendet sich dies nun gegen die Politstrategen selbst.

    Die heute als populistisch deklarierten politischen Erscheinungsformen lassen sich verstehen als eine Reaktion des Volkes auf die stete erlittene Verachtung durch die Eliten. Heftige Affekte, die aus der erfahrenen Verachtung resultieren, entladen sich nun mit populistischer Wucht und Unberechenbarkeit, oft auch in Formen, die mit dunkleren Seiten der menschlichen Natur verbunden sind. Diese Affekte sind oft als Abwehr gegen die eigenen Ohnmachtsgefühle zu verstehen und richten sich nun vor allem gegen die sozial Schwächsten. Ohnmachtsgefühle wurden und werden seit Jahrzehnten in systematischer Weise erzeugt, um das Volk von einer politischen Partizipation fernzuhalten. Das Aufblühen des sogenannten Rechtspopulismus ist also eine direkte Folge der vorhergegangenen Jahrzehnte neoliberaler Politik und Ideologie der Alternativlosigkeit und der damit verbundenen Entleerung des politischen Raumes. Zugleich sucht die neoliberale „Mitte“ den von ihr erst mit hervorgebrachten Rechtspopulismus für eine weitere Angsterzeugung zu nutzen, um sich durch eine solche Drohkulisse bei Wahlen zu stabilisieren.

    Der von oben verkündete Kampf gegen den Rechtspopulismus verdeckt, wie groß tatsächlich die Gemeinsamkeiten sind mit dem, was es angeblich abzuwehren gilt. Dies betrifft sowohl die Form einer populistischen Rhetorik als auch die den Rechtspopulismus kennzeichnenden Aspekte rassistischer und kulturrassistischer Ressentiments.

    Politik und Medien bedienen sich, wenn es darum geht, ihre politische Agenda zu vermitteln, seit jeher einer Form kommunikativer Mittel, durch die sich die adressierten Teile der Bevölkerung besonders wirksam mobilisieren lassen. Zu diesen Mitteln gehören insbesondere unzulässige und auf schnell aktivierbare Affekte zielende Vereinfachungen, wie sie für eine populistische Sprache charakteristisch sind. Ein Blick auf die Wahlplakate der vergangenen Jahrzehnte sollte genügen, um sich davon zu überzeugen, wie aufrichtig und entschlossen sich die Parteien um die Vermeidung populistischer Rhetorik und populistischer Komplexitätsreduktion bemühen.

    (...)

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  • Arno Luik: Der Putsch von ganz oben

    Eine treffende Zustandsbeschreibung der politischen Situation dieses Landes, erschienen im Stern vom 21. 10. 2004 - und immer noch hoch aktuell:

     Wirtschaft und Politik bauen diesen Staat rücksichtslos um. Was der SPD gestern noch heilig war, ist heute Teufelszeug. Die Reformen zertrümmern das Land - es wird kalt in Deutschland. Eine Abrechnung
    von Arno Luik

    Es spricht der Kanzler: Die Reformen sind alternativlos. Sie müssen noch viel weiter gehen, sagt der BDI-Chef Michael Rogowski, und die grüne Fraktionschefin Göring-Eckardt sekundiert: "Ja, diese Reformen müssen wir durchziehen!"
    Und in einer ganzseitigen Anzeige der "SZ" rufen einige Dutzende Millionäre unter der Überschrift "Auch wir sind das Volk": Die Reformen sind "überlebensnotwendig".
    Ebenso wie die Politiker und Wirtschaftsführer, so spielen Radio, Fernsehen, Zeitungen dasselbe Lied: Man muss an den Reformen festhalten - "unbeirrt". So eine allumfassende Übereinstimmung von Politik, Wirtschaft und Medien hat es im Nachkriegsdeutschland schon lange nicht mehr, nein, noch nie gegeben. Die Reformen - sie sind die neue Staatsreligion.
    Wer daher am Nutzen und der Weisheit dieser Reformen zweifelt, wird zum Außenseiter abgestempelt, der nicht ernst zu nehmen ist. Es steht eine Sozialstaatsklausel im Grundgesetz, aber wer darin erinnert, wird freigegeben zum Gespött.

    Denn der Sozialstaat ist - wie die Reformfreunde gebetsmühlenartig wiederholen - der Quell allen Übels: Er ist wachstums- und leistungsfeindlich, er lähmt die Eigeninitiative; er ist viel zu teuer, es ist kein Geld mehr da!
    Und warum? Weil der Staat gezielt verarmt wurde durch die Gesetze dieser Regierung und der davor: Die Einkommensteuer wurde gekürzt, die Vermögensteuer abgeschafft, die Gewerbekapitalsteuer gestrichen, die Spitzensteuersätze gesenkt, die Körperschaftsteuer vermindert, Steuerfreiheit bei Unternehmensverkäufen gewährt - so verzichtet der Staat Jahr für Jahr auf Hunderte von Milliarden Euro. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, nein. Zu teuer ist die herrschende Finanzpolitik, die diesen Staat ruiniert, ihn handlungsunfähig macht.
    Die Politik verzwergt.

    Das ist keine Polemik, leider. Ein paar Zahlen: Vor 40 Jahren kamen noch 20 Prozent des Steueraufkommens aus Gewinn- und Vermögenseinkommen, heute sind's noch sechs Prozent. 1983 trugen Körperschaft- und Einkommensteuer noch 14 Prozent zum Steueraufkommen bei, heute 2,3 Prozent. Diese beiläufige Steuersenkung hat von 2001 bis 2003 zu Einnahmeausfällen von mehr als 50 Milliarden geführt.
    Es gab auch noch andere Geschenke an diejenigen, die so gern klagen über den Standort Deutschland und drohen, ihn zu verlassen: 349 Millionen Euro Steuererstattung bekam Siemens 2002 zurück.

    Knapp sieben Milliarden Euro erhielt die Deutsche Bank im Jahr 2000 zurück (und als das Bankhaus 2001/02 einen Rekordgewinn von 9,8 Milliarden Euro auswies, entließ es 14 Prozent der Belegschaft - 11 000 Arbeitslose mehr).
    Und Daimler-Chrysler? Warum wohl blieb der Firmensitz der Autobauer in Stuttgart? Aus Liebe zu Deutschland?
    Nein. Aus Liebe zum Geld. Über ein Jahrzehnt lang zahlte der Autokonzern keinen Cent an Gewerbesteuern in Stuttgart und Sindelfingen. Die Hundesteuer brachte den Schwaben mehr Geld ein.

    Aber angeblich müssen diese Steuererleichterungen ja sein - um den Standort Deutschland (Globalisierung!) zu stärken, angeblich um Arbeitsplätze (Wettbewerb!) zu schaffen.
    Und was hat es gebracht? Nichts.

    Aber es ist nun wie bei einem Junkie - die Dosis wird erhöht: Noch mehr Reformen!

    Noch mehr Privatisierungen!

    Auf geradezu unredliche Weise wird allerdings verschwiegen, was der Privatisierungswahn dort eingebracht hat, wo er ungebremst realisiert worden ist. Beispiel Großbritannien: entgleisende Züge, verteuertes und schlechtes Wasser, geringere Produktivität. Und Verelendung für so viele Bürger, dass sogar die "FAZ" unlängst von Dritte- elt-Verhältnissen sprach.
    Aber egal, ganz egal.

    DIE REFORMER STEHEN FÜR DAS GUTE, für den einzig möglichen Weg aus dem Jammertal. Konsequenterweise spricht deshalb Kanzler Schröder nur noch von "alternativlosen Reformen",
    und er signalisiert mit diesem Begriffspaar einen absoluten Anspruch, den es so in der demokratischen Politik noch nie gab. Ihn auch nicht geben darf.
    Denn: Wozu noch Demokratie, wozu Debatten, wenn es "keine Alternativen" mehr gibt?
    "Notwendige Reformen", die "ohne Alternativen" sind - dieses Reden hat einen totalitären Charakter. Ein Verdacht: Die Reformer argumentieren so apodiktisch, weil sie genau wissen, mit dieser Politik zertrümmern sie so ziemlich alles, wofür die "Soziale Marktwirtschaft" der Bundesrepublik Deutschland einst stand: ein sozialer Staat, der dafür sorgte, dass die privaten Risiken Alter, Arbeitslosigkeit, Krankheit grundsätzlich kollektiv abgesichert wurden.

    (...)

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  • Bräutigam und Klinkhammer: Heuchelei ist deutsche Staatsräson

    (...) (Hervorhebung vom Stammtisch) 
    Vielmehr dürfen wir die Groteske erleben, dass eine sich als „die Mitte“ aufspielende CDU mit einem Thüringer Wahlergebnis von gerade mal 21 Prozent auch in diesem Bundesland jede Zusammenarbeit mit dem „linken Rand“ verweigert, mit der Linkspartei. Dabei hat dieser linke Rand dummerweise zehn Prozent mehr Wähler von sich überzeugt als die Christdemokraten, nämlich gute 31 Prozent. Es ist schon ein Elend mit dem Adam Riese und der politischen Geometrie, ne?

    Der Realitätsverlust nach jahrzehntelanger CDU/CSU-Machthabe verhindert jeden selbstkritischen Anflug. Die enge Zusammenarbeit und personelle Identitäten der CDU mit vormaligen Nazis, daran hat Oskar Lafontaine auf den Nachdenkseiten (7) erinnert, sind mittlerweile Teil des Genoms der Christenunion. Sie „verarbeiteten“ ihre braune Frühgeschichte nie sondern verdrängten sie bloß. Und da dieser politische Verschnitt nun mal Regierungspartei wurde und den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, wurde die Heuchelei zur deutschen Staatsräson. Das zeigt sich auch auf vielen anderen Feldern und ist Wesenskern unserer Politik.

    Ihre betrügerische Wirkung entfaltet sich nicht zuletzt in den Nachrichtensendungen von Tagesschau & Co. Da wird, wenn die Bundesregierung es so hält, nicht von Mord, sondern von „Tötung“ berichtet, Terroristen gehen als „Rebellen“ durch, Angriffskriege heißen „Militärintervention“, und die Verteilung von Almosen wird als Sozialpolitik gefeiert. Die Landwirtschaftsministerin kann unhinterfragt und im O-Ton ein „Tierwohl-Label“ propagieren, während jährlich 20 Millionen Ferkel ohne Betäubung kastriert werden dürfen. Unzählige Belege von Heuchelei, Scheinheiligkeit und Demagogie wären noch zu nennen; die Schaumschlägerei in Politik und Medien ist ressortübergreifend und hemmungslos.

    (...)
  •  

  • Paul Schreyer: Kasper und Krokodil:

    (...)
    Was zur Zeit in Thüringen passiert, scheint zu einer Lehrstunde für das ganze Land zu werden. Wie umgehen mit der mächtiger werdenden Partei von Alexander Gauland, Alice Weidel und Björn Höcke – einem Politiker, der einem Gerichtsurteil zufolge als Faschist bezeichnet werden darf? Viele sind überzeugt, die Partei müsse weiterhin hart und konsequent ausgegrenzt werden. Schließlich handele es sich um Nazis, debattieren sei zwecklos und sogar gefährlich, stattdessen müsse man aufstehen und die Feinde der Demokratie mit aller Kraft bekämpfen.

    An dieser Stelle endet die Argumentation meistens. Die Losungen erscheinen vielen Menschen einleuchtend, wirken klar und vor allem gerecht: Wir, die Anständigen, gegen sie, die Rückständigen und Bösen. Keinen Fußbreit den Faschisten! Wir sind mehr! Leider ist dieser vermeintlich gerechte Kampf am Ende vor allem eines: selbstgerecht. Denn wer so argumentiert, der hinterfragt selten die eigene Position, ist auch kaum motiviert, Verständnis für die Gegenseite aufzubringen. Man hat schließlich recht: Die Nazis sind Verbrecher, gemeine, rassistische Massenmörder, die in der Vergangenheit erst durch alliierte Bomben und Panzer gestoppt werden konnten. Nun schicken sie sich an, zurückzukehren – das muss um jeden Preis verhindert werden!

    Doch abgesehen von der fragwürdigen Pauschalisierung, alle AfD-Politiker seien Nationalsozialisten: Wie soll der wachsende Einfluss der Partei aus Sicht der Kritiker konkret verhindert werden? Will man nicht bloß alle gewählten AfD-Abgeordneten bekämpfen, sondern auch sämtliche Bürger, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben (in Thüringen waren es zuletzt 23 Prozent)? Wenn ja, mit welchem Ziel soll das geschehen? Dass die AfD-Wähler unter dem Druck der Anderen ihrer Haltung abschwören? Dass sie zukünftig den Mund halten? Oder gleich ganz verschwinden („Nazis raus“)? Wenn ja, wohin? Weg aus Deutschland? Weil „wir“, also die AfD-Kritiker, hierzulande „mehr“ sind? Die Frage sollte erlaubt sein: Wie kann man glauben, mit einer solchen Geisteshaltung die Demokratie zu verteidigen – oder überhaupt irgendetwas Produktives zu erreichen?

    Die Einstellung, die sich in solchen Überlegungen ausdrückt – selten werden sie so direkt ausgesprochen oder auch nur zu Ende gedacht –, ist der Haltung von überzeugten Nazis gefährlich ähnlich: Man verleugnet schlichtweg die Legitimation der Anderen. Es darf sie nicht geben. Sie haben kein Recht, hier zu sein, müssen sich entweder uns (den Anständigen) anpassen oder aber verschwinden. Sonst … ja, was eigentlich sonst?

    (...)
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  • Die Freidenker:     Zwei wichtige Texte auf einem Blatt (pdf):
    Vorderseite: Kein Pakt mit Faschisten: auch nicht in der Ukraine, in Litauen, in Venezuela!

    (...)
    Empörung über die Ränke mit der AfD ist wohlgelitten, unversehens können sich die anderen Parteien als lupenreine Demokraten darstellen und sich mit gespielter Aufregung über die AfD „antifaschistisch“ kostümieren. 
    Dabei ist die AfD eine originale Ausgründung der CDU/FDP, eine systemverbundene Opposition, die vom täuschend-schönen Schein lebt, eine „Alternative“ zu sein. Dabei ist sie auf die Knochen neoliberal wie die Agenda-Parteien, eine Alternative für Dumme. 

    Die Aufregung über die AfD bestärkt aber ihre Wähler noch in dem Glauben, den effektivsten Protest gegen das System, das ihnen das Fell über die Ohren zieht, gewählt zu haben. Die Ausgrenzung des vermeintlich „falsch“ wählenden Stimmviehs wird es eher nicht von dieser Demokratie überzeugen. 
    Die anderen Kapitalistischen Einheitsparteien haben mit ihrem Lohn-, Renten- und Sozialabbau die AfD groß gemacht, sie nutzen die Anti- AfD-Proteste als Nebelvorhang, um dahinter noch größere Sauereien durchzuziehen. Der „Rechtskurs“ ist schon lange Regierungspolitik, die AfD ist nicht die Ursache der Rechtsentwicklung, sondern ihr Symptom. 
    Schon vor dem Februar 2020 war erkennbar: die „Brandmauer gegen den Faschismus“ ist eine Fata Morgana!
    (...)

    Rückseite: NATO macht mobil - gegen Russland

    Die Bundeswehr führt das NATO-Kontingent in Litauen und war im November 2019 mit 10 Mitgliedsländern am Manöver „Eiserner Wolf“ beteiligt. Das Geniale an der Namenswahl: der Eiserne Wolf war ein 1927 gegründeter faschistischer Kampfbund in Litauen, dessen Mitglieder ab 1941 als Kollaborateure der faschistischen Wehrmacht halfen, fast die gesamte jüdische Bevölkerung Litauens von 200.000 Juden zu ermorden. 
    Den bevorstehenden 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg begeht der „Wertewesten“ auf besondere Art. Mit dem US-Manöver „Defender Europe 20“ und NATOBegleitmanövern mit Höhepunkt im April/Mai 2020 werden über 40.000 Soldaten eine Kriegsübung zur „Abschreckung Russlands“ veranstalten. Geübt wird die Verlegung kampfstarker Großverbände mit Panzern und Soldaten in kurzer Zeit quer durch Europa an die russische Grenze. 
    Die imperialistische Propaganda will die Ergebnisse des 8. Mai 1945 annullieren, den maßgeblichen Anteil der Roten Armee an der Niederschlagung des Faschismus aus den Geschichtsbüchern streichen. $Das Territorium der DDR, des gewesenen antifaschistischen Friedensstaates, soll zum Truppenaufmarschgebiet gegen Russland gemacht und seine Bewohner einmal mehr gedemütigt werden. 
    (...)

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  • Hermann Ploppa: Der Griff nach Eurasien: Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland
    Das Buch gibt einen hervorragebnden Überblick über die geopolitischen Interessen und hilft, die weltpolitischen Ereignisse des letzten Jahrhunderts mit den Kriegen bis heute zu verstehen. Die Lektüre ist höchst empfehlenswert.

    Wer sich jedoch, bevor er das dicke Buch kauft, einen Einblick in die Denkweise Ploppas verschaffen will, der sollte das Interview lesen, das Flo Osrainik im Rubikon mit Ploppa führte und von dem wir hier ein paar Abschnitte von Beginn und vom Ende des Interviews zur Appetitanregung zitieren:


    Hermann Ploppa: Der falsche Feind

    Flo Osrainik: Herr Ploppa, seit Oktober ist Ihr neues Buch „Der Griff nach Eurasien: Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland“ erhältlich. Darin beschreiben Sie die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland in den letzten einhundert Jahren. Wie haben sich die Verhältnisse seitdem denn grob umrissen entwickelt?

    Hermann Ploppa: Wir müssen uns zunächst einmal die Europakarte aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg vor Augen führen. Wir sehen dann, dass das zaristische Russland und das von Kaiser Wilhelm II. regierte Deutsche Reich damals direkte Nachbarn waren. Es herrschte reger Austausch. Die Grenzen waren offen. Russische Adlige absolvierten ihren Kuraufenthalt in Deutschland. Deutsche siedelten in den Weiten Russlands. Nicht unerwähnt lassen wollen wir auch die enge Verflochtenheit der Herrscherhäuser beider Länder. Diese Entwicklung wurde auch in Großbritannien und in den USA registriert.

    Im Jahre 1904 warnte der englische Geopolitiker Halford Mackinder in einem viel beachteten Vortrag vor den neuen Potenzialen, die sich aus Eisenbahn- und Straßennetzen für kontinentale Nationen ergeben. Festlandstaaten wie Deutschland und Russland könnten mit den neuen Verkehrsmitteln ihre Rohstoffe, aber auch Truppenverbände viel schneller und effizienter hin und her bewegen. Die Wettbewerbsvorteile der Seemacht Großbritannien seien damit aufgebraucht.

    Daraus ergibt sich für Mackinder folgende Agenda: Erstens, Großbritannien muss verhindern, dass sich Deutschland und Russland zusammentun. Die Verbindung deutscher Ingenieurkunst mit russischen Rohstoffen ergäbe eine neue Großmacht, gegen die der angloamerikanische Block keine Chance mehr hätte. Zweitens, wenn Großbritannien die enormen Rohstoffvorkommen der eurasischen Kontinentalplatte für sich selber nutzen will, muss es sich zur Unterstützung eine Art „Juniorpartner“ auf dem europäischen Festland suchen, mit dem zusammen die Eroberung des von Mackinder so genannten „Herzlandes“ gelingen könnte.
    (...)


    F.O.: Brauchen wir — und wenn ja, wozu — überhaupt noch einen Nationalstaat oder anders gefragt, wie müsste die EU verfasst sein, damit man eines Tages womöglich ganz auf das Nationale verzichten könnte? 

    H.P.: Der Nationalstaat ist der letzte verbliebene Großorganismus, der wenigstens potenziell den übermächtig gewordenen Globalkonzernen und Banken noch etwas entgegensetzen könnte. Ich sehe selbstverständlich, dass eben dieser Staatsapparat von Trollen der Konzerne und Banken übernommen worden ist. Darauf können wir nur politisch antworten. Indem wir auf demokratische Weise diese Konzerntrolle aus den Regierungen verjagen. Die Menschen in Europa müssen ihre Staaten von unten her neu aufbauen oder besser: instand-besetzen. Das haben das deutsche Bildungsbürgertum und die Arbeiterbewegung schon einmal sehr weit vorangebracht durch die Gründung von Genossenschaften und öffentlich-rechtlichen Wirtschafts- und Versorgungsunternehmen. Reste dieser genialen Infrastruktur existieren noch. 

    Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir müssen nur da anknüpfen, wo uns die vorherigen Generationen den Faden hinterlassen haben. Wenn es uns gelungen ist, den öffentlichen Raum zurückzuerobern, dann können wir uns mit unseren europäischen Nachbarn darüber unterhalten, ob wir zu einem vereinten demokratischen Europa zusammenwachsen wollen, an dessen Ende ein wirklich von den Völkern gewolltes übernationales Gemeinwesen stehen kann. 

    F.O.: Wie sehen Sie die Chancen für eine strukturelle Veränderung, für eine Demokratisierung und Emanzipation der EU und was müsste dafür konkret unternommen werden? 

    H.P.: Der erste Schritt besteht darin, die kollektive Verblödung zurückzufahren; die galoppierende Vereinsamung zu überwinden. Fernseher rausschmeißen. Mobiltelefone abstellen, wenn wir uns mit anderen Menschen unterhalten. Gesprächskreise bilden, in denen wir uns kontrovers, aber freundschaftlich über wichtige Fragen austauschen. Alte Bücher lesen, um den Gedankenfaden wieder aufzunehmen, den uns unsere Altvorderen hinterlassen haben. Den Schwarzweißmalern und Hasspredigern entgegentreten. Wenn wir dann den Kopf vielleicht zusätzlich durch Yoga, Meditation und gemeinsame Aktivitäten freigespült haben, dann können wir die Agenda angehen, die ich als Antwort auf Ihre vorherige Frage skizziert habe.

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  • Wolf Wetzel: „J'accuse!“ 

    In dem Artikel geht es um Roman Polanskis Film „J'accuse!“, um Vergewaltigungsvorwürfe gegen Polanski, um Forderungen, den Film zu boykottieren und um den Streit darum. Im Folgenden greifen wir den Teil des Artikels heraus, der vom neuen BDS-bezogenen McCarthyismus, von den Raumverboten und der abgesagten Münchener Friedenskonferenz handelt.

    Wenn der Antisemitismus-Vorwurf wie Löschkalk über eine notwendige Debatte gestreut wird

    In den letzten Jahren wurde genau nach der Methode gehandelt, die im Fall Polański glücklicherweise nicht angewendet wird. Auf den NachDenkSeiten sind zahlreiche Fälle sehr ausführlich dokumentiert. In der Regel hatten jene Erfolg, die diesen Vorwurf erhoben haben. Dabei hat die Beweiskraft etwas von dem, was man dem Antisemitismus zurecht unterstellt: Dieser behauptet etwas, was man nicht beweisen kann, weil es sich so geschickt tarnt.

    In diesem Beweismuster bewegen sich viele dieser Antisemitismusvorwürfe – vor allem gegen linke Kritik. In den allermeisten Fällen geht es um eine Kritik am Staat Israel, also um eine Regierungspolitik, die man nicht teilt. Es geht um Kritik an der Besatzungspolitik, um Kriegsverbrechen, um Vertreibung, Landnahme, um den demographischen Krieg und um den BDS-Boykottaufruf („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“), der Druck auf die israelische Staatspolitik ausüben will. Was man in jedem UN-Bericht nachlesen kann, ist in den Augen ihrer Gegner … Antisemitismus, ein versteckter Antisemitismus, was ihn besonders gefährlich macht.

    Der Nachweis einer antisemitischen Haltung erfolgt in drei Schritten: Zuerst erklärt man die Kritik für diskutabel und für jede Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Dann hält man die Kritik für vordergründig, also vorgeschoben. Im letzten Schritt entdeckt man, was sich hinter der Kritik versteckt hält: Antisemitismus. Wenn die Brücke zwischen einer Kritik an der Staatspolitik Israels und dem Hass auf die Juden zu luftig ist, schüttet man nochmals Zement nach und wirft den KritikerInnen eine „Nähe“ zu antisemitischen Ideologien vor. Am kurzen Ende ist die Beweiskette geschlossen und das Verbot der inkriminierten Veranstaltung in städtischen Räumen geht seinen Weg.

    Mittlerweile ist aus dieser Praxis ein bundesweiter Erlass geworden. Mitte letzten Jahres verabschiedete der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit einen Beschluss, der „umstrittenen“ BDS-Bewegung Unterstützung und finanzielle Förderung zu entziehen: ‚Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch‘, heißt es zur Begründung in dem gemeinsamen Antrag von Union, SPD, FDP und Grünen.

    Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik gehört zu denen, die sich selbst dann Gehör verschaffen, wenn seine „jüdische Stimme“ gerade gar nicht ins Konzept passt. In einem Beitrag mit dem Titel: „Unter BDS-Verdacht: Der neue McCarthyismus“ kritisiert er diese Verbotspraxis wie folgt:

    „Das Perfide des neuen, BDS-bezogenen McCarthyismus besteht zudem darin, dass er sich wegen des darin enthaltenen Antisemitismusvorwurfs kaum ausweisen muss und er zudem einen kaum widerlegbaren Vorwurf enthält: den der Kontaktschuld. (…) Die neue Form des McCarthyismus ist derzeit noch auf das Themenfeld Israel, BDS und Antisemitismus begrenzt. Und ebendort sollten wir ihm auch entschieden entgegentreten. Nur so können wir verhindern, dass das Beispiel Schule macht. Denn dann geriete die mühsam errungene liberale öffentliche Kultur der Bundesrepublik Deutschland in Gefahr. Damit aber drohte auch in Deutschland der Anfang einer bereits von vielen prognostizierten „illiberalen“ Demokratie.“

    Das letzte Beispiel kommt aus München. In diesem Jahr wollte der Trägerkreis die „Internationale Münchner Friedenskonferenz“ unter dem Motto: „Sicherheit neu denken“ abhalten. Das Büro des Oberbürgermeisters schlug als Grußwortüberbringer Marian Offman vor – ein Stadtrat, der jahrelang CSU-Mitglied war und 2019 zur SPD wechselte. Dazu gab es deutlichen Widerspruch:

    „Wir identifizieren ihn mit den Positionen der CSU, z.B. Remilitarisierung, Griff nach Atomwaffen, kalter Krieg, Diffamierung der Friedensbewegung. Er ist uns bekannt geworden schon als Stadtrat der CSU durch fortgesetzte Angriffe auf das Eine-Welt-Haus und die Gruppen der Friedens-, Umwelt- und sonstigen sozialen Bewegungen, die sich dort treffen. Er hat wiederholt versucht, Veranstaltungen und Gruppierungen, die die Politik Israels kritisch beleuchten, mit dem Vorwurf des „Antisemitismus“ einzuschüchtern und mundtot zu machen.“

    Man entschloss sich, die Stadt München darum zu bitten, einen Vertreter zu schicken, der ihnen politisch näherstünde. Der Trägerkreis konnte nicht ahnen, was er mit diesem selbstverständlichen Ansinnen auslöste. Daraufhin wurde die Löschkalkfabrik in Betrieb genommen. Man habe, so die Aufdecker, Marian Offman als Juden angegriffen. Weder das Jüdischsein noch eine jüdische Zugehörigkeit waren Gegenstand der politischen Ablehnung, aber, so Marian Offman, es „liegt die Vermutung nahe, dass man den Juden Marian Offman einfach nicht als Begrüßungsredner haben wollte. Auch wegen seiner Position natürlich zu Israel.“ (Marian Offman als Redner ausgeladen, sueddeutsche.de vom 23. Dezember 2019) Das ist vermutlich so naheliegend wie Peking und Berlin.

    Damit war ein cordon sanitaire um die Veranstaltung gezogen. Das eigentliche Thema war vom Tisch, der Antisemitismus im Raum. Ein Vorwurf, der in den letzten Jahren in Deutschland wie grell flackerndes Blaulicht wirkt: Geh aus dem Weg, mach Platz, sonst gehörst Du dazu!

    Die VeranstalterInnen sahen sich in der Folge einer Welle von Vorwürfen und Angriffen ausgesetzt … und gaben auf. Sehr viele Veranstaltungen sind auf diese Weise boykottiert worden.
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  • Thomas Röper: Kommentar zum“Skandal“ in Thüringen: Was ist eigentlich wirklich wichtig in Deutschland?
    (...) Regelmäßige Leser des Anti-Spiegel wissen, dass ich keine Partei in Deutschland für wählbar halte oder unterstütze. Daher soll mein Kommentar auch nicht um die Frage der Parteien gehen, sondern generell die Frage stellen, was in Deutschland falsch läuft. Die Geschichte in Thüringen ist ja kein von der Bundespolitik losgelöstes Ereignis, kein Einzelfall, sondern nur ein Ausdruck dessen, was in Deutschland falsch läuft.

    Demokratie bedeutet, dass die Mehrheit entscheidet. Demokratie bedeutet, dass alle miteinander reden können, dass Meinungen kontrovers diskutiert werden können, dass man den anderen respektiert, auch wenn man seine Meinung nicht teilt.

    Und genau das funktioniert in Deutschland offensichtlich nicht. Und das ist kein neues Phänomen.

    Man kann sehr schön beobachten, dass die Demokratie in Deutschland eine große Schwäche hat: Neue Parteien haben es schwer und das alleine ist streng genommen schon undemokratisch. Aber das ist nicht neu und das hat nichts mit der AfD zu tun.

    Die Älteren unter uns erinnern sich an die 1980er Jahre, als die Grünen die neue Partei waren. Sie wurden von den Medien zerrissen und von den alten Parteien gemieden, wie eine Pestbeule. Und als es in Hessen die erste rot-grüne Koalition mit „Turnschuh-Fischer“ als Umweltminister gab, war das Geschrei groß. Inzwischen gehören die Grünen selbst zu den „alten“ Parteien und sind von denen auch kaum mehr zu unterscheiden.

    Das gleiche haben wir mit der Linken erlebt. In den 1990ern war sie die Manifestation des Bösen. Noch 2008 war es ein Skandal, dass Frau Ypsilanti in Hessen ein Koalition bilden wollte, die von der Linken nur geduldet werden sollte. Es ging noch nicht einmal um eine Regierungsbeteiligung der Linken. Das Geschrei war groß, SPD-Chef Beck hat sich davon nie wieder erholt und Ypsilantis Karriere war damit de facto beendet.

    Heute ist die Linke auch schon fast eine etablierte Partei und zumindest für Grüne und SPD sind selbst Koalitionen mit der Linken kein Problem mehr.

    Dafür ist heute ist AfD in der Rolle, die vor 30 Jahren die Grünen und vor noch 10 Jahren die Linke gespielt haben: Sie ist das Schmuddelkind, mit dem keiner spielen möchte. Und so wie Grüne und Linke mit der Zeit Teil des Establishments wurden, wird es in ein paar Jahren auch die AfD sein. Das ist der Lauf der Dinge in Deutschland.

    Aber heute bedeutet die Tatsache, dass die AfD für jemanden stimmt, der sonst keine Mehrheit hätte, noch den politischen Tod. So war es auch 2008 mit der Linken in Hessen, so wird es nun wohl auch in Thüringen sein.

    Das war also alles irgendwie schon mal da, es nichts Neues.

    Aber merken Sie was?

    Es geht um die Entscheidungen für das Land, für die Menschen im Land, es geht um Lehrermangel, Altersarmut, Infrastrukturprobleme, Pflegenotstand und so weiter und so fort. Aber davon war hier in dem Kommentar noch gar nicht die Rede. Und warum?

    Weil es der deutschen Politik heute wichtiger ist, Posten zu verteilen, kleinliche Eifersüchteleien auszukämpfen und parteipolitische Ideologien zu verteidigen, als die Probleme der Menschen und des Landes auch nur zu besprechen, von lösen gar nicht zu reden. (...)
    Hier weiterlesen
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  • Jochen Mitschka: Deutschlands Angriffskriege. Der verlorene Geist des Grundgesetzes
    Als die Autoren des Grundgesetzes aus den Lehren der Kriege den Text des deutschen Grundgesetzes entwarfen, war er ein Kompromiss. Er entstand unter dem maßgeblichen Einfluss liberaler und von Kapitalinteressen bestimmter Gruppen, berücksichtigte aber auch die Leiden der Massen. Außerdem stand der Text im Wettbewerb zu einem anderen Gesellschaftsbild. Dieser Kompromiss erschien mir viele Jahre als beispielhaft, und während meiner Aufenthalte im Ausland hatte ich immer das Vorbild des Grundgesetzes zur Hand, wenn es um politische Grundsatzfragen ging.
    Umso enttäuschter war ich, als ich feststellen musste, dass die deutschen Parteien im Laufe der Jahrzehnte das deutsche Grundgesetz in eine leere Hülle verändert haben - und das in einem Parteienkonsens, wie er sonst nur ein einem Einparteienstaat zu sehen ist. Aus Enttäuschung wurde Frustration, die ich in einem Essay zusammenfasste*. Den größten Schmerz aber bereitete mir die Erkenntnis, dass diese Zerstörung des Geistes des Grundgesetzes auch nicht vor dem schlimmsten aller Verbrechen haltgemacht hat, dem Angriffskrieg.
    Und hieraus entstand dieses Buch.

    * Politikum Illustrati - Finis Germania oder Deutschlands Demokratie ist verloren 
    Siehe auch das KenFM-Gespräch mit Jochen Mitschka.

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  • Zum Nachdenken: opablog: Ein unwürdiger Präsident

    Es gibt keine Erbsünde!
    In einem mittelalterlichen Gottesstaat dürfte ich das nicht behaupten. DEN Teufel würde man mir austreiben. Die BRD, im Jahr 2020, beansprucht ein säkularer Staat zu sein, kein mittelalterlicher.
    Wer einen Menschen der Erbsünde bezichtigt, tritt die Menschenrechte mit Füßen.

    Es gibt keine Kollektivschuld! 
    Kein Ort, nirgends in der Welt, an dem ein Volk als Ganzes, ein Volk in der Zahl aller seiner Angehörigen eine Kollektivschuld trägt. Es gibt kein verbrecherisches Volk. Das deutsche bildet keine Ausnahme.

    Wer ein Volk als verbrecherisch bezeichnet, etwa damit, dass er es „Volk der Täter“ nennt, tritt das Völkerrecht mit Füßen.

    (Nebenbei gesagt: Es gibt auch kein auserwähltes Volk. Wer in Theorie oder Praxis das „erwählte Volk“ vertritt, mag zwar einem Gott wohlgefällig sein, einem mittelalterlichen oder einem alttestamentarischen, in Wirklichkeit aber tritt auch er das Völkerrecht mit Füßen.)

    Steinmeier sprach in Israel auf der Gedenkfeier zur industriellen Ermordung von Millionen Juden durch die deutschen Faschisten. Er brachte es fertig, keinen einzigen der faschistischen Verbrecher, keinen einzigen der Förderer und Profiteure der faschistischen Herrschaft, keinen einzigen ihrer geistigen Weg- und Nachbereiter zu nennen.

    Stattdessen behauptete er, Jahrgang 1956, „beladen mit großer Schuld“ dort zu stehen. Ich bin Jahrgang 1940, und ich weiß, dass ich kein Gramm Schuld am deutschen Faschismus trage.
    (...)
    Ich liebe die deutsche Sprache, Sprache meines Lebens.

    Wie ist es möglich, dass jemand, der Präsident wurde, also erster Diener seines Volkes sein sollte, die Sprache dieses Volkes verleugnet und verleumdet?

    Liegt es an der kalbsdummen Gutmütigkeit so vieler Deutscher? Oder doch eher an ihrer Verantwortungslosigkeit? Die Bundesbürger haben ja eine lange Tradition, politisches Gesindel klaglos zu mästen. Auch der ehrenwerte Herr Steinmeier nimmt seit vielen, vielen Jahren einen wohl fünfstelligen Betrag entgegen – wahrlich eine schwere Last, die ihm die Täter Monat für Monat aufbürden.

    Oder ob Steinmeier eine ganz andere Schuld gemeint hat? Nämlich seine Kollaboration mit den ukrainischen Faschisten? 

    Das liegt nun sechs Jahre zurück. Wer erinnert sich noch? Das Web, etwa hier oder hier, hat nicht vergessen. Diplomatische Deckung für die Faschisten, auf die der Imperialismus nicht verzichtet, der deutsche ebenso wenig wie der transatlantisch-zionistische. Hauptsache es geht gegen die Sowjetunion/Russland; 1933 oder 2014 oder heute. „Defender“ um jeden Preis.

     
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