Lesefrüchte

September 2022

 

Hier sammeln wir Artikel, die auch über den Tag hinaus interessant sind und zitieren Auszüge. Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, verschieben wir ältere Empfehlungen ins „Archiv“.

 


Lesefrüchte im vergangenen Monat 
Anselm Lenz: USA zerstörten Versorgungsleitungen in der Ostsee
Zeitung vom 29.02.1960:
Ein abnormer Winter geht zu Ende

Jens Berger:
Die Anschläge auf Nord Stream und der Elefant im Raum

Gert Ewen Ungar:
Von Krieg und Frieden – Oskar Lafontaine ...

Brigitte Pick:
Orwell und das Heute

Dagmar Henn:
Wasser, Mehl und Brot für Russen?

Petra Erler: Wie wir ver-rückt werden
Christian Müller:
So führt das Verschweigen von Fakten zu Unwahrheit


 

Anselm Lenz: USA zerstörten Versorgungsleitungen in der Ostsee 

Der Anschlag der USA auf die Versorgungsleitungen muss als offen kriegerischer Akt gegen Europa bewertet werden. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, auch wenn die Leitungen auf Druck aus Washington zuletzt in der deutschen Küste abgedreht worden waren.
(...)

Seit Jahren stören sich amerikanische Oligarchen des »Tiefen Staates« an den Erdgasleitungen. Bereits unter US-Präsident Donald Trump wurde die Handelsbeziehung Festlandeuropas mit Russland massiv moniert. Die USA gelten als de facto Bankrott. Jahrzehntelang hatten sich die amerikanische Wirtschaft, Staat und Konsumenten insbesondere in China verschuldet und gigantische Handelsdefizite aufgetürmt, so dass bereits von einem »Chimerica« die Rede war, einer Verschmelzung der USA mit der Wirtschaft Chinas durch die unaufholbare Verschuldung des Ersteren bei Zweiterer.
(...)

Zurück in die Ostsee: Die Sprengung der Versorgungsleitungen vom Montag folgte mit dem zeitlichen Abstand weniger Stunden auf die Einbürgerung des weltweit anerkannten US-Whistleblowers Edward Snowden. Der US-Amerikaner Snowden hatte vor neun Jahren bereits totalitäre US-Überwachungsmethoden sowie Kriegsverbrechen und Kriegspläne aufgedeckt. Der CIA-Mitarbeiter fand auf seiner Flucht vor dem US- und Nato-Unterdrückungsapparat nur in Russland Asyl. In den USA würde ihm die Todesstrafe drohen. 2016 wurde er für den Friedensnobelpreis nominiert.
(...)

Des Weiteren endeten am Montag, 26. September 2022 die Volksentscheide in den von Kiew abtrünnigen Regionen Donjetsk, Lugansk, Cherson und Saporischje. Mit gemeldeten Wahlbeteiligungen von um die 90 Prozent und Wahlergebnissen von rund 80 Prozent bis 98 Prozent ist der Beitritt der Regionen zur Russischen Föderation damit beschlossen. Noch am heutigen Mittwoch könnte die Duma, das russsische Parlament, den formalen Anschluss der Regionen an Russland beschließen.

Die Entwicklungen haben mit den Ereignissen vom Wochenbeginn nochmals an Fahrt aufgenommen. Weitere Eskalationen stehen im Raum. Es können alle denk- und handlungsfähigen Menschen aus Politik, Kirchen, Journalismus, Staatsapparat und Zivilgesellschaft nur dazu aufgerufen werden, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die zentralen Konfliktparteien Washington und Moskau zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen zu zwingen. Die wunderschöne ruhige Ostsee, andernorts auch genannt das Baltische Meer, das in vielen kleinen und großen Sprachen besungen wird, in dem Wechsel von Ebbe und Flut so angenehm milde ausfällt, ist mit dem Anschlag auf die Versorgungsleitungen am Meeresgrund nun leider mit im Fokus des Weltenbrandes. Der 26. September 2022 ist mit den berichteten Ereignissen ein Datum, das in die Geschichte eingeht. Leider nicht im Guten.

 


 

Ein Zeitungsartikel vom 29.02.1960 

Ein abnormer Winter geht zu Ende

Aendert sich unser Klima? — Alte Chroniken lassen nicht darauf schließen

Tübingen, (sws) Ein Winter von einer Milde und Schneearmut wie seit vielen Jahren nicht mehr geht seinem Ende entgegen. Im südlichen Württemberg wurden die ersten Stare, Schmetterlinge, Frühlingsblumen und Maikäfer gesehen. An nur wenigen Tagen gab es im Raum Neckar-Donau Schnee, und auch Alb und Schwarzwald brachten nur mäßige Wintersportmöglichkeiten. Im Januar gab, es Tage, die so mild waren wie sonst Apriltage. Häufig ist die Meinung anzutreffen, solche abnorm milden Winter rührten von einer Veränderung der Erdachse oder gar von Atomversuchen her. 

In Wirklichkeit beweisen alte Chroniken aus dem Raum oberer Neckar/Oberschwaben, daß es hier abnorme Witterungsverhältnisse häufig gegeben hat. So wird vom Jahr 1177 berichtet, daß es einen ungeheuer heißen Sommer hatte und daß wenig später, 1182, die Bäume schon an Lichtmeß (2. Februar) blühten. Geerntet wurde in diesem Jahr im Mai. Und 1289 badete man an Weihnachten im Freien, im Januar 1290 blühten in Tübingen die Reben. Vom Jahr 1420 wird gemeldet, daß damals viele Obstbäume zweimal,Früchte trugen und die erste Ernte bereits Pfingsten war. Im Jahr 1475 wurde am oberen Neckar so viel Wein geerntet, daß die Fässer nicht ausreichten, den Segen zu fassen. Ein Maß kostete einen Pfennig. Das Jahr 1560 hingegen wird als ein böses Jahr geschildert. Damals schneite es an den „Hundstagen“ im Juli, die Ernte verfiel auf den Halmen, große Teuerung kam über das Land. Auch 1614 war ein völliges Mißjahr; es gab kaum Korn, der Zehnte konnte in Schwaben vielerorts nicht abgeliefert werden. Im Mißjahr 1622, als der Dreißigjährige Krieg wütete, kostete ein Malter Korn 43 Gulden. Viele, vor allem ältere Leute, starben an Hunger. 1683 war die Erde noch an Fronleichnam gefroren. Dagegen fiel im Winter von 1706/07 kein- Flocke Schnee. 1709 war es hingegen wieder so kalt; daß sogar Haustiere in den Ställen erfroren und die Tiere in geheizte Räume gebracht werden mußten. Im milden Winter 1734 brachte man zu Weihnachten blühende Blumen in die Kirchen, und 1745 wurde das Vieh noch an Weihnachten auf die Weide getrieben. Im Jahr 1760 schwärmten an Neujahr die Bienen — 1791 lag der Schnee am 15. Juni im Neckartal noch fußhoch. Schlimm war es im Sommer 1816 mit 150 Regentagen und viel Hagel. Nichts reifte, Futter für das Vieh fehlte. Die Folge war im Winter 1816/17 eine furchtbare Teuerung im Lande. 72 Gulden kostete ein Malter Korn, ein Zentner Kartoffeln nach heutigem Geldwert etwa 200 Mark. Biertrester, Kleie, Mehlstaub .und Stroh dienten als Nahrung. Viele Menschen starben in ihren Betten an Hunger. Sehr kalt wieder wurde es von November 1829 bis Februar 1830; der Bodensee fror völlig zu. 

Man sieht: Jahre mit abnormer Wetterlage traten hierzulande seit den Aufzeichnungen im 12. Jahrhundert auf. Darum besteht heute kein Grund, von Klimaänderung oder Störung zu sprechen.                     ss.  

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(bm) Der Winter 1959/60 muss besonders warm ausgefallen sein, so dass er in einem Zeitungsartikel beschrieben wurde. Interessanterweise hatten wir am Bodensee drei Jahre später das seltene Ereignis der „Seegfrörne“: 1962/63 fror der See komplett zu. Überall wanderten die Menschen über den See zum anderen Ufer. Ich war damals 14 und unser Schulleiter in Konstanz würdigte das Ereignis mit drei Wandertagen für die ganze Schule.

Wikipedia schreibt:

„Für das Entstehen einer Seegfrörne des Bodensees sind ein extrem kühler Sommer, lang anhaltende Ostwinde und sehr kaltes Wetter im Herbst und Winter erforderlich. Dann kann der Bodensee im Januar oder Februar vollständig überfrieren.“ 

Die Seite lohnt sich auch wegen der Bilder.
Unterm Stichwort „Seegfrörne“ liefert Google auch Links zu Videos.

Das bedeutet: Zwei abnormale Winter sagen noch nichts über langfristige Trends im Klimageschehen. Auffällig finde ich im Wikipedia-Artikel die Auflistung von Seegfrörnen in den einzelnen Jahrhunderten: Man kann deutlich die kleine Eiszeit im späten Mittelalter erkennen mit jeweils 7 Ereignissen im 15. und 16. Jahrhundert, wenn auch nicht immer mit komplett zugefrorenem See. Im 18. und 20. Jahrhundert kam das jeweils nur einmal vor. 

Dass zur Zeit das Klima wärmer wird, zeigt sich eben nicht nur an einem besonderen Ereignis, sondern an Häufungen: So hat in den letzten 25 Jahren die Häufung von besonders heißen Sommern und Trockenheit deutlich zugenommen. Was aber dafür die Ursache ist, Mensch oder Sonne, darüber lässt sich trefflich streiten. Wahrscheinlich trifft beides zu — aber zu welchen Anteilen: darüber kann man immer noch streiten.  

 


Jens Berger: Die Anschläge auf Nord Stream und der Elefant im Raum
Einer Meldung des Tagesspiegels zufolge kam es in der Nacht zum Montag und gestern Abend zu massiven Druckabfällen in den Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2. Die Bundesregierung geht von gezielten Anschlägen aus. Meldungen der Betreiber lassen vermuten, dass zumindest ein Teilstück von Nord Stream 2 völlig zerstört ist. Wer kommt als Täter infrage? Absurderweise spekulieren die Medien bereits, dass Russland hinter den Anschlägen stecken könnte. Dabei liegt es doch auf der Hand, wer das größte Interesse an einem endgültigen Aus der beiden Ostseepipelines haben könnte. Im Februar kündigte US-Präsident Biden bereits offen an, dass die USA einen Weg finden werden, Nord Stream auch gegen die Interessen Deutschlands „ein Ende zu setzen“. Das ist nun offenbar auch passiert und Deutschland schweigt.
(...) 

Ein derartiger Anschlag sei, so eine vom Tagesspiegel zitierte „von Bundesregierung und Bundesbehörden eingeweihte Person“, „alles andere als trivial“, da er „mit Spezialkräften, zum Beispiel Marinetauchern oder einem U-Boot ausführt werden“ müsse. Das engt den Täterkreis auf staatliche Akteure ein.
(...)

Auch die WELT und der Tagesspiegel, die beide über die Anschläge berichten, spekulieren bereits munter über potenzielle Täter. Während der Tagesspiegel immerhin noch am Rand mit dem Gedanken spielt, „ukrainische oder mit der Ukraine verbundene Kräfte“ könnten verantwortlich sein, nennen beide Zeitungen vor allem Russland als möglichen Tatverdächtigen. Die Russen hätten also in einer „False-Flag-Operation“ (Zitat: Tagesspiegel) ihre eigenen Pipelines gesprengt, um … ja, warum eigentlich? Und spätestens hier erweisen sich die WELT und der Tagesspiegel als echte Leitmedien für Verschwörungstheoretiker. 
(...)

Erstaunlich ist vor allem, dass niemand den Elefanten im Raum anspricht. Es ist ja nicht so, dass es keinen Verdächtigen gäbe. Die USA haben ein Motiv und die technischen Mittel, um diese Taten begangen zu haben, und sie haben im Vorfeld auch bereits erklärt, dass sie im Zweifel Nord Stream 2 „ein Ende setzen werden“. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz verkündete dies US-Präsident Biden. Auf die Frage, wie er das denn genau umzusetzen gedenke, da dieses Projekt doch innerhalb der deutschen Entscheidungsmacht liegt, antwortete er kühl: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sind, dies zu tun“. Das hat er nun ja wohl möglicherweise bewiesen.
(...)

Dass die USA ein großes Interesse daran haben, russische Rohstofflieferungen nach Deutschland auch langfristig zu verhindern, steht außer Frage. Die USA sind kurz davor, Europas größter LNG-Lieferant zu werden. Die Milliarden Euro, die bis zum letzten Jahr für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem großen Teil in die USA. Da LNG deutlich teurer als leitungsgebundenes Erdgas ist, hat dies natürlich Auswirkungen auf die europäischen Energiepreise. Europa ist nicht mehr konkurrenzfähig. Sowohl Gas als auch Strom sind in den USA ungefähr um den Faktor zehn preiswerter als in Deutschland und die USA nutzen diese Preisvorteile bereits massiv, um deutsche Unternehmen zur Verlagerung ihrer Produktionskapazitäten über den Atlantik zu bewegen. Es herrscht Wirtschaftskrieg – nicht nur zwischen dem Westen und Russland, sondern auch zwischen den USA und der EU; nur, dass dies hierzulande niemand anspricht. Die Sprengung der Ostseepipelines stünde ganz im Zeichen dieses Krieges.
Die USA haben jedoch auch ein geostrategisches Interesse, einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu treiben. Man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe – den alten Feind Russland und den alten Konkurrenten Deutschland. Oskar Lafontaine hatte erst vor einigen Tagen beim Pleisweiler Gespräch auf diese von US-Think-Tanks erdachte Strategie hingewiesen.

Wäre man nun Kriminaler, wäre der Fall eigentlich offensichtlich. Man hat einen Tatverdächtigen, der die Mittel und ein Motiv hat und der in der Vergangenheit die Tat zumindest indirekt bereits angekündigt hat. Doch ausgerechnet dieser Tatverdächtige spielt zumindest in der öffentlichen Kommunikation keine Rolle. Ist das nicht erstaunlich? 

 


 

Gert Ewen Ungar: Von Krieg und Frieden – Oskar Lafontaine beim Pleisweiler Gespräch

Einleitend würdigt Ungar ausführlich die NachDenkSeiten und dessen Gründer Albrecht Müller als unverzichtbare Nachrichtenquelle im heutigen Medien-Einerlei. 
Dann stellt er fest:

Die USA haben den offen formulierten Anspruch, alleinige Weltmacht zu sein. Durch den Aufstieg von China und Russland ist der Führungsanspruch der USA bedroht. 

Mit dem Anspruch, alleinige Führungsmacht zu sein, können die USA aber nicht gleichzeitig einem Verteidigungsbündnis vorstehen, wie es die NATO zu sein vorgibt. Lafontaine macht auf diesen Widerspruch aufmerksam. Das System des Westens ist auf Herrschaft und Expansion angelegt, nicht auf grenzwahrende Selbstverteidigung. Die USA als Führungsmacht der NATO verträgt sich nicht mit der defensiven Selbstbeschreibung des transatlantischen Bündnisses. Die NATO wie auch die USA streben nach Ausweitung ihrer Macht und nach Kontrolle über die Welt. Das ist der klar und unmissverständlich formulierte Anspruch der USA.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Krieg in der Ukraine zu sehen. Er ist ein klassischer Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Es geht dabei weder um Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine noch um Menschenrechte und Demokratie, sondern lediglich um geopolitische Einflusssphären und Macht. 

(...)
Nach dem Putsch von 2014 änderte die Ukraine ihre Verfassung und gab ihren in der Verfassung verankerten Status der Neutralität auf. In der neuen Verfassung ist nun das Ziel der NATO-Mitgliedschaft festgeschrieben. Trotz dieser Entwicklung wiegelte Bundeskanzler Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Moskau die Befürchtungen Russlands ab. Ein Beitritt stünde nicht bevor. Die Entwicklung belegt jedoch eine klare Annäherung und den beidseitigen Willen zur Integration der Ukraine in das Bündnis – gegen die ausdrücklichen Bedenken Russlands. 

2019 kündigten die USA zudem einseitig den INF-Vertrag, mit dem sich die UdSSR und die USA auf die Vernichtung aller atomwaffenfähigen Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa einigten. (...)

Die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf dem Gebiet der Bundesrepublik hat das Risiko eines Atomkriegs in Europa massiv erhöht. Die USA glaubten und glauben an die Möglichkeit, einen Atomkrieg auf Europa begrenzen zu können. Das ist für Europa gefährlich. Die Reaktionszeit im Fall eines Angriffs hat sich für den Warschauer Pakt durch die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Westdeutschland deutlich verkürzt. Das löste in Deutschland größte Sicherheitsbedenken und in der Folge Protest aus.

Unter diesem Gesichtspunkt der immer kürzeren Reaktionszeit ist es völlig verständlich, dass Russland in einer möglichen Stationierung von Atomwaffen an seiner unmittelbaren Grenze in der Ukraine eine Verletzung seiner Sicherheitsinteressen sieht, auf die das Land reagieren muss. Bei einem Angriff von der Ukraine aus, würde sich die Reaktionszeit selbst mit der Waffentechnik der 80er Jahre weiter minimieren. Die Forderung nach Sicherheitsgarantien aber, mit der sich Russland sowohl an die NATO als auch an die USA wandte, blieb inhaltlich unbeantwortet. 

Lafontaine bezieht deutlich Position. Den Einmarsch Russlands in die Ukraine hält er dennoch für einen Verstoß gegen das Völkerrecht und damit für einen aggressiven Akt. Man dürfe nicht mit zweierlei Maß messen. Wenn man den Überfall der NATO auf die Republik Jugoslawien für Völkerrechtsbruch hält, müsse man dies im Fall Russlands und der Ukraine ebenso tun.

Da fängt aber meines Erachtens das Problem an. Die Responsibility to Protect, die als Begründung für den Angriff auf Jugoslawien herhalten musste, ist inzwischen Teil des Völkerrechts. Der Westen beruft sich bei seinen Interventionen auf seine Schutzverantwortung. Russland tut dies im Fall der Ukraine auch. Die Ukraine verübt im Osten des Landes einen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung. Dass das nicht von der Hand zu weisen ist, machen Berichte nach der Rückeroberung von Gebieten durch die ukrainische Armee deutlich. Es herrscht Gewalt. 

Oskar Lafontaine hat Recht. Es darf keine doppelten Standards geben. Aber dann muss die Schutzverantwortung als Teil des Völkerrechts in ihrer Problematik diskutiert und als Teil des codierten Völkerrechts auch zur Disposition gestellt werden. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung sich bis heute für die Bombardierung Belgrads auf die Responsibility to Protect beruft, Russland im Fall des Donbass dieses Recht aber abspricht. 

In diesem Zusammenhang hat Lafontaine natürlich Recht, wenn er von den doppelten Standards der Bundesregierung und der deutschen Außenpolitik spricht. Die deutsche Außenpolitik ist widersprüchlich. Statt Gas aus Russland möchte die Bundesregierung aus moralischen Überlegungen Gas aus Katar und Aserbaidschan beziehen. Die Menschenrechtslage ist in beiden Ländern um vieles schlechter als in Russland. Moralische Bedenken gibt es aber eben nur gegenüber jenen Ländern, die sich dem Hegemonieanspruch der USA entziehen. Die Argumentation macht in ihrer Verlogenheit das Vasallentum deutscher Politik deutlich. 

Wichtige Posten wie Außenminister, Verteidigungsminister und Wirtschaftsminister sind mit Personen besetzt, die außenpolitisch tief reaktionäre Positionen vertreten, gleichzeitig mit der anvertrauten Aufgabe intellektuell völlig überfordert wirken, zudem ein antirussisches Ressentiment pflegen, dem ein deutlicher Rassismus anzumerken ist. (...)
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Brigitte Pick: Orwell und das Heute

Mit der Wirkkraft von Propaganda hat sich George Orwell in seinem Buch „1984“ beschäftigt, das ihn mit einem Schlag weltberühmt machte. Er wusste wie sein Zeitgenosse Aldous Huxley um die Gräuel des Krieges, kannte die Propaganda-Maschine, die sich im 1. Weltkrieg bewährte, und war abgeschreckt vom deutschen Faschismus wie auch dem Stalinismus. Er war überzeugter Sozialist und gegen jeden Totalitarismus. Schauen wir einmal auf die Schwerpunkte, die Orwell in seinem Buch setzt. Da geht es um die Gedankenpolizei, das Wahrheitsministerium, das Neusprech (Bereinigung der Sprache), Denunziantentum (Kinder werden als Späher gedrillt, um ihre Eltern denunzieren zu können, wenn sie sich gegen die Regeln verhalten). Die Vergangenheit wird ausgelöscht – fühle nur ich mich an heutige Zeiten erinnert?

Die zentrale Parteiparole in Orwells Buch „1984“ lautet: 

„Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft; wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.“ 

Weiter heißt es: 

„Das gegenwärtig Wahre blieb wahr bis in alle Ewigkeit. Es war ganz einfach. Es war nichts weiter nötig als eine nicht abreißende Kette von Siegen über das eigene Gedächtnis. Wirklichkeitskontrolle nannten sie es; in der Neusprache hieß es Zwiedenken. Jede Aufzeichnung wurde vernichtet oder verfälscht, jedes Buch überholt, jedes Bild übermalt, jedes Denkmal, jedes Gebäude, jede Straße umbenannt, jedes Datum geändert. Die geschichtliche Entwicklung hat aufgehört.“ 

Für die Durchsetzung sorgt das Wahrheitsministerium. Die Parole des Ministeriums lautet: 

„Krieg bedeutet Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.“ 

Die sogenannte „politische Korrektheit“ heute führt zu Umbenennungen von Straßen und Plätzen, zur Auslöschung von Geschichte und ihren Widersprüchen. Genderfragen überlagern politische Konflikte und verhindern Lösungen gesellschaftlicher Konflikte, da sie von den wahren Problemen ablenken.

Zur täglichen Propaganda in Orwells Buch „1984“ gehören „False Flag“-Aktionen, um die „Leute in Furcht und Schrecken zu halten“. Dazu gibt es tägliche Hass-Sendungen und eine regelmäßige Hasswoche mit dem Absingen von Liedern, Beifallsschreien, Filmvorführungen etc. Der Hass auf Eurasien (im Buch eine Chiffre für Russland bzw. die Sowjetunion) wird bis zur „Siedehitze geschürt, dass die Menge, wenn sie Hand an die zweitausend eurasischen Kriegsverbrecher hätte legen können, die am ersten Tag der Veranstaltung öffentlich gehängt werden sollten, sie unweigerlich in Stücke gerissen hätte“.

Die unglaubliche Kriegstreiberei im Ukraine-Konflikt, das Schüren von Hass, der Abbruch jeglicher kultureller Beziehungen zu Russland, das Ausradieren der Vorgeschichte des Konfliktes, die Hybris, die Guten zu sein, das Löschen und Verunglimpfen von Vergleichen mit völkerrechtswidrigen Kriegen der USA, die Erfindung neuer Wörter wie Whataboutismus, das ständige Wiederholen mit unterschiedlichen Worten von immer gleichen Sachverhalten manipuliert die Menschen und wird neudeutsch „framing“ genannt.

Bei Orwell lesen wir dazu: 

„Es gab im Neusprech das Wort Schwarzweiß. Es hatte zwei sich widersprechende Bedeutungen. Einem Gegner gegenüber angewandt, bedeutete es die Gewohnheit, im Widerspruch zu den offensichtlichen Tatsachen unverschämt zu behaupten , schwarz sei weiß. Einem Parteimitglied gegenüber angewandt, bedeutet es eine redliche Bereitschaft zu sagen, schwarz sei weiß, wenn es die Parteidisziplin erfordert. Aber es bedeutet auch die Fähigkeit, dass schwarz gleich weiß ist, und zu vergessen, dass man jemals das Gegenteil geglaubt hat.“ 

Wolodimir Tschemeris erklärte im Gespräch mit Susann Witt-Stahl zur aktuellen Zensur-Lage in der Ukraine:

„Dass staatliche Institutionen wie das Kulturministerium und der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine Lexika herausgegeben haben mit „neuen Begriffen“, die verwendet werden müssen beziehungsweise nicht verwendet werden dürfen, und sogar Rechtsvorschriften erlassen wurden, die für unerlaubte Wörter und Meinungen Freiheitsstrafen vorsehen, erinnert unweigerlich an George Orwells Roman „1984“. 

Wolodimir Tschemeris hat lange für die Unabhängigkeit seines Landes, der Ukraine, und gegen die Verletzung von Bürger- und Menschenrechten sowie der Meinungs- und Pressefreiheit gekämpft. Nun ist er selbst ins Visier des Staates geraten und aggressiven Einschüchterungsversuchen des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) ausgesetzt. 
(Hier weiterlesen)

 


 

Dagmar Henn: Wasser, Mehl und Brot für Russen? – Verdächtig, finden deutsche Behörden

Humanitäre Hilfe ist eigentlich geschützt. Es ist erlaubt, Menschen, die hungern, die Not leiden, zu helfen, ohne Ansehen der Person. Humanitäre Lieferungen sind kein Gegenstand von Sanktionen. So sollte das zumindest sein. Inzwischen stehen aber zwei Vereine in Deutschland unter Beobachtung vom Verfassungsschutz, weil sie dem Donbass humanitäre Hilfe leisten.

Der erste davon war der Verein "Zukunft Donbass", ... 

Gestern nun wurde der zweite Verein ins Visier genommen, Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e. V. In mehreren Medien, selbst der Bild, wurde die Tätigkeit des Vereins angegriffen. Dabei gibt schon die Überschrift die rechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine darf von Thüringern und Thüringerinnen in keiner Weise unterstützt werden". Konkret geht es vor allem um Dinge wie Krankenhausbetten und medizinische UntersuRichtung vor, wie bei t-online: "Unterstützt ein Brandenburger Verein Putins Krieg in der Ukraine?" Der Verein soll "Russen im Ukraine-Krieg mit Lebensmitteln unterstützen".

Das ist politisch ein wenig inkonsequent, denn die Bewohner der Donbass-Republiken gelten ansonsten in Deutschland als Ukrainer, ob sie es wollen oder nicht, auch wenn der regelmäßige Beschuss der Donbass-Städte durch das ukrainische Militär nicht wirklich ein Ausdruck des Wunsches ist, die Opfer als Angehörige des eigenen Staates zu sehen.

Ein "Lastwagen mit 20 Tonnen Wasser, Mehl und Brot" wird dem Verein vorgehalten, der seit 2015 als gemeinnützig anerkannt ist. Von Anbeginn an wurde diese Gemeinnützigkeit besonders penibel kontrolliert; erst im Frühjahr dieses Jahres überprüfte das Finanzamt die Bücher des Vereins mehrere Wochen lang, bis in die kleinsten Belege, konnte aber keine Verstöße gegen die Vorgaben der Gemeinnützigkeit finden und beschied sie dem Verein bis zum Jahr 2025. Aber selbst eine makellose Buchführung, in der jede Ausgabe belegt ist (was gar nicht so leicht ist, wenn die Lieferungen in ein Kriegsgebiet gehen, in dem die Anforderungen der deutschen Buchführung völlig unbekannt sind), nützt nichts, wenn von obersten Stellen entschieden wird, dass die Arbeit des Vereins politisch unerwünscht ist.
Die Brandenburger Polizei soll wegen "Belohnung und Billigung von Straftaten" ermitteln und das Finanzministerium erneut die Gemeinnützigkeit überprüfen. Das ist unverkennbar eine politische Entscheidung, denn die reguläre Überprüfung hat ja gerade erst stattgefunden.

Die Bild schrieb in der für dieses Blatt charakteristischen Manier gleich:
"Mit einem 20 Tonnen-Lkw wurden Wasser, Mehl und Brot von Moskau ins Kriegsgebiet nach Donezk und Mariupol gebracht. Die Lebensmittel kommen aber hauptsächlich den dort lebenden Russen und pro-russischen Ukrainern zugute."

Das ist natürlich Unfug; zum einen würde es jedem Grundsatz humanitärer Hilfe widersprechen, die Empfänger von Wasser, Mehl und Brot erst einmal nach ihren politischen Einstellungen zu befragen. Und zum anderen wäre das aus rein praktischen Gesichtspunkten unmöglich – Ausgabestellen für humanitäre Hilfe sind, zumindest solange sie in Reichweite der ukrainischen Artillerie sind, ein beliebtes Ziel. Daher muss die Ausgabe schnell gehen, um Verteiler und Empfänger nicht zu gefährden.

(...)
Auch ohne die behördlichen Angriffe ist eine solche humanitäre Arbeit in Deutschland nicht mehr ohne Risiko. Kilinc hatte in den letzten Wochen mehrmals Besuch von einem Fahrzeug mit ukrainischem Kennzeichen, das immer wieder stundenlang vor ihrer Grundstückseinfahrt stand.

In Wirklichkeit dürften es wohl kaum gelieferte Windeln oder Sportgeräte sein, die den Zorn der deutschen Behörden erregen. Diese Vereine sind Zeugen des Krieges, der seit acht Jahren im Donbass geführt wird; Zeugen, die von ihren Erfahrungen berichten und die, gerade weil ihr Motiv ein humanitäres ist, eine besonders hohe Glaubwürdigkeit haben. Es ist nun einmal etwas anderes, ob jemand aus zweiter Hand berichtet oder sagen kann: "Ich habe selbst in Gorlowka im Keller gesessen." Zeugen für die Tatsache, dass die Ukraine im Donbass gezielt die Zivilbevölkerung angreift, kann die augenblickliche deutsche Politik nicht gebrauchen; sie gefährden die Erzählung, die demokratische Ukraine sei grundlos vom bösen Russland angegriffen worden.

Denn natürlich stimmt es nachdenklich, wenn der Verein berichtet, er habe Wasser in Donezk verteilt. Von dieser Information allein kommt man schon schnell auf den Schluss, irgend jemand müsse dann die Wasserversorgung sabotiert haben. Und von dort bis zur Feststellung, dass das nur die ukrainischen Truppen gewesen sein können, ist es nicht mehr weit. Das Ende dieser Gedankenlinie ist dann die Erkenntnis, dass die Ukraine im Donbass Kriegsverbrechen begeht. Und das wäre ja dann das, was Wladimir Putin im vergangenen Dezember zu Olaf Scholz sagte, ein Genozid.

Um zu verhindern, dass Menschen zu dieser Erkenntnis gelangen, muss also auch jede derartige Information unterdrückt werden, und das geht nur, indem man die Vereine ausschaltet, die solche Lieferungen organisieren und ganz nebenbei eine verleugnete Wirklichkeit sichtbar machen.

Der Gedanke humanitärer Arbeit begann einmal mit dem Roten Kreuz, das gegründet wurde, um sich in einem Krieg gleichermaßen um die Verwundeten beider Seiten zu kümmern. Diese Vorstellung, alle als Menschen zu behandeln und nicht als Freunde oder Feinde, ist bis heute das Grundprinzip humanitärer Aktivität, und das ist eine bedeutsame zivilisatorische Errungenschaft. Seit 2014 haben sich die großen humanitären Organisationen der Bundesrepublik fast ausschließlich um die Westukraine gekümmert, nicht um den Donbass. Wenn jetzt offizielle deutsche Stellen die Arbeit von Vereinen angreifen, die dort humanitäre Hilfe leisten, dann verhalten sie sich nicht nur, als wäre Deutschland unmittelbarer Beteiligter dieses Krieges. Sie zeigen gleichzeitig, dass diese zivilisatorische Errungenschaft für sie keinen Wert mehr besitzt und dass sie selbst Kinder und Alte als Feinde sehen, sofern man sie als Russen klassifizieren kann. Das ist menschlich erbärmlich und politisch ein weiterer Wiedergänger aus dem dunklen Jahrdutzend.

 


Petra Erler: Wie wir ver-rückt werden
Es folgen einige Auszüge aus Erlers hervorragendem Artikel über die Geisteskrankheit unserer Zeit; Man sollte den Text aber auch ungekürzt im Original lesen. (bm)

„Sind die Menschen, die aus Syrien fliehen, vor einem Krieg der ohne massive russische Militärhilfe gar nicht möglich wäre, nicht auch ein Opfer des Despoten Putin?“ 

Das fragte Schmickler in den jüngsten „Mitternachtsspitzen“ während seines Plädoyers für die Gleichbehandlung von Flüchtlingen durch die EU. Und ich dachte: Was ist mit Schmickler passiert? Warum redet der bei so einem wichtigen Thema zwischendurch solchen Unsinn?

Dann fand ich eine Meldung der Tagesschau vom März 2022 „Assads Krieg dauert nun 11 Jahre“, die mit Schmicklers Weltbild (aber auch dem anderer „Meinungsmacher“ in Deutschland) perfekt harmoniert:

Vor elf Jahren begann der Krieg in Syrien – die Hälfte der Bevölkerung verlor ihre Heimat. An der Seite von Machthaber Assad zerbombte die russische Luftwaffe Städte wie Aleppo und Homs. Viele Syrer fühlen jetzt mit den Ukrainern.

Beides steht exemplarisch dafür, dass sich bewusst oder unbewusst die Wahrnehmung von Realitäten verschob. Selbst öffentlich zugängliche Informationen spielen offenbar gar keine Rolle mehr.

Hätte die Tagesschau eine Hilfskraft mit Recherchen beauftragt, dann wäre möglicherweise klar geworden, dass der Kampf um Homs 2014 endete, die russische Armee erst 2015 auf Assads Bitten direkt militärisch eingriff und so den Vormarsch von ISIS auf Damaskus stoppte, dass der Kampf um „Aleppo“ sich wiederum auf den kleinen Ostteil der Stadt konzentrierte, der zu diesem Zeitpunkt unter der Kontrolle von Al Nusra stand, was das Pentagon wusste, aber medial und politisch ignoriert wurde, und dass heute die USA den fruchtbarsten Teil Syriens, dort, wo es auch Öl gibt, widerrechtlich okkupieren.
(...)

Inzwischen, in einer emotional hoch aufgeladenen Situation, wird von viel zu vielen alles geglaubt, was sie glauben wollen. Da können die Wenigsten noch klar denken. Empörung, Wut, Verzweiflung, auch Hass lassen kaum Spielraum dafür. Jeder, der je selbst von solchen Gefühlsstürmen übermannt wurde, WEISS, dass der Verstand einfriert. 
(...)

Wir sind schon so lange im medialen und politischen Management unserer Emotionen gefangen, dass es schwerfällt, den Zeitpunkt zu benennen, an dem alles kippte. Ich meine den Zeitpunkt, zu dem nicht mehr die sachliche Information im Vordergrund stand, es nicht mehr um den Diskurs ging, egal wie hoch die Wogen schlugen, nicht mehr um die Beurteilung von Fakten, sondern um gegenseitige Vorverurteilung, Hass und zunehmende Entmenschlichung.
(...)

Die Liste der verschobenen Realitäten ist lang.
Sie betrifft Menschen, die als „trojanische Pferde des Kremls“ verunglimpft oder zu Verrätern stilisiert wurden, wie Snowden und Assange. Nur das russische Exil rettete Snowden vor einem ähnlichen Schicksal wie Assange, für den die allermeisten selbsternannten Tugendwächter der Demokratie und Freiheitsrechte keinen Finger rühren.
Immer sind die Russen mit im Plot. Snowden, ein russischer Spion? Assange, ein Helfershelfer des Kremls, der angeblich von Russen gehackte interne Parteidokumente der US-Demokraten veröffentlichte? Ein Beweis für die russische Hacker-Schuld wurde nie erbracht.

Auf dieser Liste steht an oberster Stelle die Leugnung des Versprechens an Gorbatschow 1990, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Als diese Lüge unhaltbar wurde, folgte der zynische Verweis, Gorbatschow (die Sowjetunion) hatte damals größere Sorgen (Geld) und das noch zynischere Achselzucken, es gäbe ja nichts Schriftliches.
Die USA entledigt sich selbst Verträgen, wenn ihr danach ist, siehe ABM-Vertrag, siehe INF-Vertrag, siehe Iran.
Merkel räumte 2022 öffentlich ein, dass sie beim Beschluss zur NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien wusste, dass das aus Sicht Putins einer Kriegserklärung gleichkam. 
(...)

Aber Merkels Äußerung, dass sie Putins Haltung kannte (nicht teilte), machte auch auf einen anderen Umstand der Ver-Rücktheit unserer Zeit aufmerksam. Heute wird emsig gegraben, was alles die Gefühle anderer verletzen, was nachträglich betrachtet als Rassismus, kulturelle Aneignung usw. interpretiert werden könnte.

Diesem Übereifer steht die völlige Ignoranz der Interessen und Gefühle politischer Widersacher aber auch eines großen Teils der Welt gegenüber. Statt die Partei, die Partei hat immer recht, singt der Westen sich selbst ins Recht. Demokratien KÖNNEN nicht irren. Westliche Demokraten lügen nicht. Demokraten wissen alles besser.

Putin will einen Vertrag mit Sicherheitsgarantien für Russland, will verhandeln? Nicht mit uns. Washington wischte den letzten russischen diplomatischen Vorstoß vor dem Krieg, im Dezember 2021, vom Tisch. Das NATO-Mitglied Deutschland duckte sich weg. Für die Umsetzung des Minsk-Abkommens hat der Westen nicht gekämpft.

Wir verkämpfen uns um die „Mohrenstraße“ oder Karl Mays Dichtungen. Das erspart, auch nur einen Blick auf die reale Lage der amerikanischen Ureinwohner heute in ihren Reservaten zu riskieren oder gar zu versuchen, die Welt in ihrer Gänze wahrzunehmen. Denn dazu müsste man die Interessen anderer, den Blickwinkel anderer einbeziehen. Andere Sichtweisen als die, die wir für richtig halten, sind uns komplett egal. Wir urteilen inzwischen zunehmend ohne Faktengrundlage.

Damit wir mit ihnen möglichst auch nicht mehr konfrontiert werden, wird Desinformation und Falschinformation geschrien bis zur Heiserkeit, zensiert, wo es nur geht und am Ende läuft der Kampf gegen die Desinformation auf Selbstverstümmlung hinaus. Wer nicht mehr weiß, was ein anderer denkt und warum, folgt blindem Glauben, wie ein Sektenmitglied.

Auf dieser Liste steht die Glorifizierung der Maidan-Ereignisse in der Ukraine 2013/2014 als „friedliche, pro-westliche Revolution“.

Der Protest der ethnisch russischen Ukrainer wurde umgewidmet. Das galt als pro-russischer, fremdgesteuerter antidemokratischer Terror. Der Feldzug gegen den Donbass, sprich die eigenen ukrainischen Landsleute, begann im April 2014 als „Anti-Terror Operation“, beschlossen von einer Regierung, die durch Verfassungsbruch an die Macht gelangte, mit neuer politischer Führung, die von den USA ausgesucht worden war. Empört hat uns nur der Verfassungsbruch auf der Krim. Da setzten die Sanktionen ein. Sie wurden verschärft wegen MH 17, wo auch die Russen am Werk gewesen sein sollen und erzählt wurde, die „Abtrünnigen“ seien bar jedes menschlichen Anstandes im Umgang mit den Opfern gewesen. Bis heute haben die USA die angeblichen Aufnahmen zu MH 17, die alles dokumentiert hätten, nicht vorgelegt. 

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Christian Müller: So führt das Verschweigen von Fakten zu Unwahrheit

Eine Lüge ist eine Falschaussage wider besseres Wissen. Aber auch das Verschweigen von essentiellen Fakten kann in die – gewollte – Unwahrheit führen. Viele grosse Medien wählen im Falle des Krieges in der Ukraine diese Methode, um – gewollt – einseitig zu informieren, ohne dass sie der Lüge bezichtigt werden können. Die Analyse eines Medien-Sachverständigen.

Dass Wladimir Putin, der Präsident der Russischen Föderation, beschlossen hat, die Ukraine militärisch anzugreifen, ist ein Fakt. Dass dieser Beschluss Putins eine Reaktion auf die Politik der USA, Grossbritanniens und ganz generell der NATO war, ist auch ein Fakt. Aber niemand kann die westlichen Medien zwingen, auch diesen Tatbestand zu erwähnen – obwohl sie mit dem konsequenten Verschweigen dieses Fakts – offensichtlich gewollt – die TV-Zuschauer und Zuschauerinnen, die Radio-Zuhörer und Zuhörerinnen, und die Leser und Leserinnen in die Unwahrheit führen.

Um aufgrund von – vermeintlich objektiver – Information eine gewünschte Meinung zu erzeugen, gibt es verschiedene Methoden. Die verbreitetste und wichtigste ist die Auswahl der befragten Experten, die Wahl eingeladener Kommentatoren und die Entscheidung, welche Leserbriefe und Leserkommentare publiziert und welche nicht publiziert werden. Wenn eine Zeitung oder eine Online-Plattform – als Beispiel – zum Thema Ukraine Andreas Umland als «Ukraine-Experten» zu einem Kommentar einladen, dann wissen sie zum voraus, was sie erhalten: einen Text, der das politische und militärische Vorgehen der USA und der NATO gutheisst und alles, was von russischer Seite kommt, als inakzeptable Einmischung und/oder als reine Propaganda abtut – unabhängig, ob Umland dann in den «Blättern für deutsche und internationale Politik», in der NZZ oder auch auf der US-amerikanischen Plattform «History News Network» schreibt, wo auch immer. Das Beispiel Andreas Umland ist insofern eklatant, als man aus der Vita und dem CV und den bisherigen Publikationen dieses Mannes weiss – wissen muss! –, dass er ausschliesslich im einseitig euroatlantischen Interesse kommentiert.

Bei den Experten aus dem Hochschul- und Medienbereich gilt es genauer hinzuhören. Dazu ein Beispiel aus der Schweiz. Das «Echo der Zeit» ist die älteste und beste tägliche deutschsprachige Informationssendung des öffentlich-rechtlichen Radios. Die Sendung verfügt über gegen zwanzig eigene Auslandkorrespondenten, viele davon sind absolut hervorragende Berichterstatter (Die online einsehbare Liste dieser Korrespondenten ist allerdings nicht mehr richtig, es wäre Zeit, sie endlich zu aktualisieren). Wo eine politische und/oder wirtschaftliche Situation durch eigene Leute aber nur ungenügend beleuchtet werden kann, wird regelmässig zum Gespräch mit sogenannten Experten gegriffen, im «Echo der Zeit» besonders oft mit Hochschul-Professoren und -Professorinnen von deutschen Universitäten oder auch etwa mit länderspezifischen Beobachtern der deutschen Stiftung «Wissenschaft und Politik» SWP. Und da beginnt das Problem – das Problem der gezielten Wahl einer zum voraus bekannten Meinung, wie oben geschildert.

Befragt werden aber auch Journalistinnen und Journalisten anderer Medien-Institute. Ein konkretes Beispiel vom 22. August: das Gespräch mit der deutschen Journalistin Sabine Adler.

Von Sabine Adler weiss man als Medien-Kenner, dass sie alles tut, um Russland schlecht zu machen. Nicht zuletzt deshalb wurde ihr 2015 für ihre Berichterstattung über den Euromaidan in Kiev und generell über die Ukraine der Karl-Hermann-Flach-Preis verliehen. Schon ihre damalige Dankesrede für die Preisverleihung spricht Bände. So etwa sagte sie dort, am 20. November 2015, in der Ukraine sei aufgrund der Maidan-Proteste und der Vertreibung des ordentlich gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch – der tatsächlich so korrupt war wie seine Vorgänger und auch seine Nachfolger – eine «wirkliche Zivilgesellschaft» entstanden. (Dies allerdings ganz im Gegensatz zu ihrer Aussage in einem Artikel am 21. Februar 2015. Dort wörtlich: «Nur wenig geändert hat sich an der ungebrochenen Macht der Oligarchen, an der Korruption, am Fortbestand der alten Strukturen.» So schnell ändern Journalistinnen und Journalisten zuweilen ihre Meinung.) Sabine Adler erzählte in ihrer Dankesrede von der Einflussnahme Russlands auf den Maidan, erwähnte aber mit keinem Wort die Einflussnahme der USA, wo die USA über ihre Diplomatin Victoria Nuland doch immerhin eingestanden haben, schon vor dem Euromaidan fünf Milliarden Dollar für die politische Einflussnahme in der Ukraine ausgegeben zu haben, und wo der höchst prominente US-Senator John McCain, Kampfjet-Pilot-Veteran aus dem Vietnam-Krieg, doch persönlich auf dem Rednerpult auf dem Maidan aufgetreten war und die Bevölkerung zu weiteren Protesten ermuntert hat, und wo genau jener Mann – Arsenij Jazenjuk – dann neuer Ministerpräsident wurde, der von der US-Delegierten Victoria Nuland als «unser Mann» vorgeschlagen wurde. Einen Druck gegen die Ausübung der russischen Sprache bestritt Sabine Adler in ihrer Dankesrede – seltsamerweise mit dem Argument „Wer durch die Ukraine fährt, hört überall Russisch». Oder sie sagte den Satz «Das russische Vorgehen in Georgien hat 2008 schon einmal gezeigt, dass Moskau vor Krieg nicht zurückschreckt», ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass der damalige Krieg auf Befehl des damaligen Präsidenten von Georgien, Micheil Saakaschwili, begonnen wurde.
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