Detlef Belau:

Mit Gewalt zum Erfolg?

Am 16. Mai 2020 kam es am Rande der Demonstration Querdenken 711 auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart zu einem verbrecherischen Überfall auf drei Mitglieder der Gewerkschaft "Zentrum Automobil e.V.". Die Antifa Tübingen schreibt am 13. Juli 2020, dass die Teilnahme dieser drei Gewerkschafter durch „konsequente Antifas“ „verunmöglicht“ wurde! Ein Bürger fiel ins Coma und behält wahrscheinlich bleibende Schäden. Bereits am 15.Mai 2020 brannten zwei Fahrzeuge für Veranstaltungstechnik. Nach einer „Silent Demo“ gegen Rassismus attackiert die linke Szene, berichtet am 10. Juni 2020 die „Stuttgarter Zeitung“, die Polizei in bislang nicht bekannter Härte. Unter anderem wurden Pflastersteine geworfen und Sprüche abgelassen wie „All Cops are Bastards“ (Alle Polizisten sind Bastarde). 

Im Kontext dieser Ereignisse führte die Polizei am 2. Juli in Tübingen, Ludwigstrasse 15 eine Hausdurchsuchung durch. Zeitgleich fanden in anderen Städten Baden-Württembergs derartige polizeiliche Maßnahmen statt. Ein Verdächtiger wurde festgenommen und wieder freigelassen, als sich herausstellte, dass zum Zeitpunkt der Tat in Stuttgart er sich an einem anderen Ort aufhielt. Noch am selben Tag rief das AABS (Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region) für 18 Uhr zur Kundgebung auf dem Rothebühlplatz in Stuttgart auf, um sich „solidarisch mit den Tatverdächtigen zu erklären“ (Stuttgarter Zeitung).

Die „Beobachter News“ aus Rudersberg charakterisieren am 5. Juli 2020 die Hausdurchsuchung in der Ludwigstrasse 15 als „Willkürrazzia“. Bundestagsabgeordnete „Heike Hänsel hat“, laut beobachternews.de, „gegen die Durchsuchung der Lu15 protestiert. Das Vorgehen sei kein Mittel eines Rechtsstaats und müsse ein Nachspiel im Bundestag haben.“ Ähnlich sprach sich Tobias Pflüger darüber aus. Der Freiburger Bundestagsabgeordnete wirft der Staatsanwaltschaft Stuttgart im Zusammenhang mit der Hausdurchsuchung bei einem seiner Mitarbeiter die Verletzung seiner Abgeordnetenrechte vor. Offenbar hält man diese Reaktion für angemessen, obwohl in der Öffentlichkeit klar ist, wie Sascha Maier in der „Stuttgarter Zeitung“ am 2. Juli schreibt, dass die Hausdurchsuchungen im Kontext mit den verbrecherischen Attacken am 16. Mai 2020 stehen.
Wer nun trotzdem noch immer nicht weiß, wie tragisch der „2. Juli“ verlaufen ist, kann sich darüber am 10. September 2020 in der Veranstaltung des Epplehauses Tübingen zum Thema „Repression gegen Links & Demo Basics“ unter Schirmherrschaft der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg informieren.
Von den Arbeiten am Stoppschild für Gewalt war bisher nichts zu lesen oder zu hören.

Um Missverständnissen vorzubeugen, es geht nicht um eine Verbindung von Akteuren (Tatverdächtigen) vom „16. Mai“ mit der Partei Die Linke, wohl aber um ihr politisch indifferentes Verhältnis zu Aktionen einer bestimmten „Szene“. Denn ein Protest gegen derartige Methoden, die Anwendung von leichter bis extremer physischer Gewalt gegenüber Bürgern war in diesem Zusammenhang nicht zu vernehmen. Andererseits registrierte Sascha Maier (Stuttgarter Zeitung) bereits, dass von Jenen, die eine „klare Kante“ gegen Rechts befürworten, ein erheblicher Teil diese Gewaltausbrüche verurteilen.

Die Schwierigkeiten der Linken mit der Gewalt sind aus der deutschen Geschichte gut bekannt. „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“, hier nach der Roten Fahne vom 9. November 1929 zitiert, gab Heinz Neumann für die KPD als Losung aus. Ihre Anwendung war in Deutschland absolut nicht erfolgreich. Geleitet von derartig unmenschlichen Parolen zettelte Neumann als Vertreter der Komintern 1928 in Guandong (Kanton) einen Aufstand an, den tausende Chinesen mit dem Leben bezahlten.

Für Furore sorgte am 13. Dezember 1930 in der „alten“ Berliner Philharmonie die Uraufführung Die Maßnahme von Bertold Brecht (1898-1956). Ein Lehrstück, das im Hinblick auf die Schaffung einer freien, solidarischen und herrschaftslosen Gesellschaft unrichtiges Verhalten enthüllen und richtiges Verhalten demonstrieren soll. Dazu reüssieren im wirtschaftlich rückständigen China vier kommunistische Agitatoren aus Moskau für den Sozialismus und gewinnen in der Arbeiterschaft schnell Anhänger. Hierbei verhält sich ein junger Genosse taktisch falsch, er zeigt Mitleid und will die „Revolution jetzt“. „Nicht leicht war es, zu tun, was richtig war“, tönt im Brecht-Stück „Der Kontrollchor“. Der erste Agitator: „Wir müssen dich erschießen… . Bist du einverstanden?“ Der Junge Genosse antwortet. „Ja“. Selbst tödliche Gewalt ist gerechtfertigt, belehrt uns „Die Maßnahme“, wenn sie der Revolution, der Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung dient.

Offenbar kennt die „Szene“ die „alten Geschichten“ nicht und ist wohl deshalb auch in Gefahr, die Fehler zu wiederholen. Sie interessiert sich nicht ernsthaft dafür. Vielmehr bemüht sie sich um das Erbe von Joachim Bruhn (1955-2019) „Was deutsch ist“, dessen Anliegen Manfred Dallmann im „Vorwort“ einer 2019 erschienenen Neuauflage erklärt. „linaluft.org“ kommentiert am 1. Mai 2020 das Ansinnen der Antideutschen in Bezug auf die Tübinger-Szene. Allgemein kondensiert die Bewegung es in Demo-Losungen wie: „Deutschland Halts`s Maul“, „Nieder mit dem Regime im Iran“, „Palästina Halt`s Maul!“ oder (im Zusammenhang mit der Bombardierung Dresdens) „Alles Gute kommt von Oben“. Susan Bonath (2018) charakterisierte dies treffend als faschistisches Gedankengut, das getarnt als “linke“ Ideologiekritik und „Antifaschismus“ in die Bildungsbürgerjugend getragen wird.

Als „Antifa“ verkleidet ist die antideutsche Ideologie gegen die Gleichheit der Rechte 
für jeden Bürger und gegen die bedingungslose Achtung des Lebens anderer Völker gerichtet. Das ist unmenschlich und verfassungsfeindlich. Artikel 9 des Grundgesetzes lautet: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“

Was will die Antifa erreichen, wenn sie 2017 auf Sarah Wagenknecht eine Torte wirft oder an Bürger, die den Spitalhof in Reutlingen betreten wollten, um im Januar 2020 am Neujahresempfang der AFD teilzunehmen, „Schläge und Tritte“ austeilt und, wie Carola Eisler am 21. Februar 2020 unter swp.de weiter mitteilte, AfD Kreisrat Harald Rinderknecht mit Nazi-Worten beschimpfte? Was ist Sinn und Zweck solcher Formen der politischen Auseinandersetzung? Angst zu verbreiten? Den Rückzug der Anderen durch Anwendung von Gewalt zu erzwingen? Ist das der Erfolg, den man sich vorstellt? Betrachtet man es positiv, könnte man annehmen, dass bestimmte linke Gruppen ernsthaft daran glauben durch Gewalt und Drohungen den rechten Gegner prinzipiell schwächen können. Wenn es so ist, dann übersehen sie, dass dieses Vorgehen bei den Betroffenen organisierte Antwortreaktionen hervorruft, die in der Bildung neuer Strategien einmünden. Es war zu beobachten, dass eine bestimmte Website in Baden-Württemberg wiederholt Angriffe gegen Personen der rechten Szene startete, die die Betroffenen als unsachlich und absolut nicht zutreffend aufnahmen. In Abwehr dieser wiederholten Anwürfe formierte sich der betreffende Personenkreis neu und entwickelt in anderen Bereichen effektivere politische Aktivitäten.

Als Beweggründe für die linken Gewaltattacken kann man sich alles Mögliche vorstellen, nur eines bestimmt nicht, dass die „Szene“ und ihre Verbündeten glauben, damit 2021 ein respektables Ergebnis bei den politischen Wahlen in Baden-Württemberg erreichen zu können. Niemals wird die Linke Bürger mit Gewalt für sozialistische Ideen gewinnen. Insofern werden die Landtags- und Bundestagswahlen 2021 ihr Urteil über Aktionen wie vor dem Spitalhof in Reutlingen oder am Rande der Cannstatter Wasen in Stuttgart sprechen.

 

Quellen:

Ermittlungen wegen versuchter Tötung bei Corona-Demo in Stuttgart. SWR aktuell, 18. Mai 2020

Christine Bilger: Linke Szene in Stuttgart. Verfassungsschutz warnt vor linker Gewalt. Stuttgarter Zeitung. 27. Mai 2020 

Vorfälle nach Demos gegen Rassismus Stuttgarter Polizei zeigt sich besorgt über linke Szene. Von red/dpa. Stuttgarter Zeitung, 10. Juni 2020

Sascha Maier: Corona-Demos in Stuttgart. Gewerkschaft des Überfall-Opfers setzt Belohnung aus. Stuttgarter Zeitung, 23.05.2020

Sascha Maier: Nach Razzien wegen versuchtem Totschlag. Stuttgarter Antifa-Gruppe ruft zu Demo für Verhaftete auf. Stuttgarter Zeitung, 2. Juli 2020

Carola Eissler: So gesehen: Zu den Tumulten am Freitagabend rund um den AfD-Neujahrsempfang: Antifa verteilt Schläge und Tritte. 21. Februar 2020,

Heike Krüger: Anti-AfD-Demonstranten nehmen den Spitalhof in die Zange. 21.02.2020. 

Innenminister Strobl muss hier Rede und Antwort stehen. 3. Juli 2020, 

Die Polizei beschlagnahmte im Wohnprojekt Lu15 in Tübingen auch Material und Geräte eines Abgeordneten-Mitarbeiters. Bewohner protestieren gegen „Willkür-Razzia“. Beobachter News, 5. Juli 2020 

„Schützen wir uns gegenseitig Repression ins Leere laufen lassen. - Flugblatt zu notwendigen Sicherheitsvorkehrungen“, 13. Juli 2020.
 Zitat: „Am Morgen des 02. Juli 2020 durchsuchten die Bullen Wohnungen im Großraum Stuttgart, Tübingen und Karlsruhe. Seit dem sitzt unser Genosse Jo in Stammheim in U-Haft. Begründet wurden die Razzien mit einer Auseinandersetzung zwischen Antifaschist*innen und drei Faschisten des Vereins „Zentrum Automobil“. Diese waren auf dem Weg zu einer der Corona-Demos auf dem Canstatter Wasen, als konsequente Antifas ihnen dies verunmöglichten.“

Wolf-Dieter Obst: Versuchtes Tötungsdelikt in Stuttgart. Bei Razzia in linker Szene einen Falschen erwischt. Stuttgarter Zeitung, 14. Juli 2020 

Was deutsch ist von Joachim Bruhn. Zur kritischen Theorie der Nation. ca ira, Freiburg, Wien 2019

Susan Bonath, Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes: „Linke Bastionen“ in rechter Hand, KenFM Tagesdosis, 28.Mai 2018

Die Rote Fahne. Zentralorgan der kommunistischen Partei Deutschlands, Berlin, 9. November 1929 

Bertolt Brecht: Die Massnahme. Kritische Ausgabe mit einer Spielanleitung von Reiner Steinweg. Edition Suhrkamp, Suhrkamp Verlag. Erste Auflage, Frankfurt am Main 1972