Bernhard Meyer:

Political correctness und Tabu

„Man wird doch wohl noch sagen dürfen...“ Au-weh! „Nein, das darf man nicht!“. 

Beides kriegte man vor allem 2015 beim Höhepunkt der Flüchtlingskrise oft zu hören. „Man wird doch wohl noch...“ galt als Ausweis für Pegida. Wenn Konservative bis Rechte ihre Vorbehalte gegen Fremde ausdrückten, kam heftigster Widerstand - oft mit Bezug auf unsere schlimme Vergangenheit, aber vielfach auch einfach als barscher Befehl. Zuhören empfand man auf der „linken“ Seite schon als „rechts-offen“, man witterte Gefahr und forderte: „Wehret den Anfängen!“ Sahra Wagenknechts berechtigter Hinweis auf die anwachsende Konkurrenz durch die Flüchtlinge auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt für Leute mit niedrigem Einkommen brachte ihr heftigen shitstorm und rechte Etiketten ein. 

Die Unerbittlichkeit im Umgang mit traditionellen, bodenständigen, konservativen Menschen wurde schon länger vorher eingeübt im Anwachsen der „political correctness“ (pc), die sich aus dem intellektuellen Biotop der Universitäten über die Medien immer mehr in der Gesellschaft ausbreitete. Brutalstmögliche Leserbriefe wurden formuliert, gegen Mitmenschen, die auf der Schokolart Mohrenköpfle anboten - unschuldig ahnungslos, weil sie von dieser Sprachregelung vorher noch nichts mitgekriegt hatten. „Rassist“ war das Mindeste, was ihnen an den Kopf geworfen wurde. Dutzende Leserbriefe folgten. Und weitere wegen „N-Wörtern“ in unschuldigen Kinderbüchern („Unschuldig? Nein! Das sind Bücher, geschrieben im Geist von rassistischen Kolonialisten, die allesamt weg müssen.“)

Mein Eindruck ist, dass die rigoros moralische Haltung, die sich in der pc ausdrückt, auf Sprache begrenzt ist — was sonst noch in der Gesellschaft und auf der Welt passiert, bleibt mit dieser Haltung unsichtbar oder wird gar absichtlich verschleiert. Wie sonst ist es zu erklären, dass im Vergleich zu der Leserbriefflut zu den Mohrenköpfen und Astrid Lindgren bei einem anderen, eigentlich sehr nahe liegenden Thema mein Leserbrief der einzige blieb. Im Schwäbischen Tagblatt erschien ein Artikel über die Firma CureVac, die ihren neuen Impfstoff an Menschen in Lateinamerika testen will. Ich erwartete nun einen Aufschrei der Anti-Rassisten, der Anti-Kolonialisten, der Anti-Imperialisten, von allen aufrechten LINKEN Kämpfern gegen RECHTS. Aber nichts geschah. Mein Leserbrief blieb allein. Ich vermute, weil sich das kolonialistisch Übergriffige der Firma nicht plakativ in der Sprache ausdrückt, sondern „nur“ im Handeln, ist es den Kämpfern gegen Rechts nicht aufgefallen. 

Auch andere Themen, die mit pc wenig zu tun haben, werden in den alten Medien und infolge dessen in der Gesellschaft kaum gesehen und besprochen; manche scheinen richtig mit einem Tabu belegt zu sein, wie es Uwe Krüger in seinem Artikel Funkstille über Strahlungsschäden aufzeigt oder Karolin Ahrens in Die Tabugesellschaft. Mein Eindruck ist, dass es an der Oberfläche, also auf der Bedeutungsebene, nicht pc ist, dass aber die zugrunde liegende illiberale, rigorose Denk- und Verhaltensweise bei den pc-Themen eingeübt wurde. Wenn ich einen LINKEN Kämpfer gegen RECHTS frage, ob er glaubt, dass die Regierung immer die Wahrheit sagt und das Volk nie belügt, wird er es sicher verneinen: Natürlich lügen die oft wie gedruckt, wie bei S21 vor dem Volksentscheid zum Beispiel. Und doch bewirft er mich sofort mit dem Verdikt „Verschwörungstheoretiker“, wenn ich überlege, ob die Corona-Maßnahmen möglicherweise einen anderen Hintergrund haben als die Gesundheit. Oder wenn ich hinter den Bestrebungen zur Abschaffung des Bargeldes die Absicht des Staates vermute, den Bürger perfekt zu überwachen und am Gängelband zu halten: Schon jetzt werden unliebsamen Organisationen die Konten gekündigt, damit man sie nicht mehr finanziell unterstützen kann. Und gehe ich für den Erhalt des Grundgesetzes auf die Straße, dann rufen sie „Aluhut“ oder gleich „NAZI“, wie es Thomas Felder in Konstanz erlebt hat. 

Was wir in den letzten Jahren beobachten konnten, ist schon eine paradoxe Umkehrung: Kämpfer gegen den Faschismus, die Antifa und mit ihnen ein Teil des linken Umfelds gebärden sich wie früher die Faschisten: gnadenlos rechthaberisch, brutal, unwillig hinzuhören und unendlich dumm. Wo ist die feurige Lernbereitschaft, die Lust am Hinterfragen, die Freude an unorthodoxen Meinungen geblieben, die wir Alten in den Sechzigern und frühen Siebzigern des letzten Jahrhunderts noch erleben konnten? Mein Lebensgefühl heute erinnert mich an die damals folgenden „bleiernen Jahre“. 

Unten hänge ich meinen Leserbrief über die Impfpläne der CureVac an und dann den Leserbrief von Thomas Felder im GEA über sein Erleben in Konstanz.

Bernhard Meyer

 

---------Leserbrief an das Schwäbische Tagblatt-------

Soso: Curevac „impft in Lateinamerika 690 Testpersonen gegen Covid-19“. Ja, toll! Warum kommen mir da sofort „Zehn kleine Negerlein“ in den Sinn, ein Lied aus lang vergangenen unkorrekten Kindertagen. So etwas singen wir heute natürlich nicht mehr, aber ...

Unsere fürsorgliche Regierung hat in Verhandlungen das Schadensrisiko von der Firma weg verhandelt und dem Steuerzahler übertragen. Die Kosten für scheußliche Nebenwirkungen trägt nicht mehr wie üblich der „verantwortliche“ Hersteller, sondern wir. Wäre es da nicht angebracht, als Anreiz für die Firma sehr sorgfältig zu arbeiten, ihr ein Stück Risiko zurückzugeben? Beispielsweise die Testpersonen nicht in Afrika oder Lateinamerika zu suchen, sondern in der Firma selbst, am besten im Management. Auch unsere Regierungspersonen und unsere Volksvertreter, die das alles durchgewunken haben, sollten sich als Versuchsmenschen zur Verfügung stellen, zum Ansporn, die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Beschlüsse genauer zu überlegen. 

PS: Eben lese ich im Internet: „Elon Musk nennt Bill Gates 'Schwachkopf' – und will sich und seine Familie nicht impfen lassen.“ (mehrere Quellen)

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---------Leserbrief von Thomas Felder an den GEA-------

»Aufmarsch der Grünen«

Erfreulich, dass die öffentlich-rechtlichen Medien über die Konstanzer Menschenkette am Tag der Deutschen Einheit neutraler berichtet haben, als dies nach der Berliner Großdemonstration am 29. August der Fall war. Wenig erfuhr man Ende August von der Rede eines Roben F. Kennedy, von der bewegenden Schweigeminute und vom Paragraf 146 unseres Grundgesetzes, an den die sogenannten Querdenker erinnern wollten. Stattdessen wurde der Fokus auf ein schlecht inszeniertes Theater vor der Kulisse des Reichstags verengt, um Hunderttausende konstruktiv-kritische und besorgte Demokraten mit »Corona- und Holocaustleugnern« in einen Topf zu werfen.

Welchen gesellschaftlichen Schaden diese Art Journalismus angerichtet hat, erlebte ich am 3. Oktober auf der Konstanzer Seepromenade. Bürgerlich zivil gekleidet stand ich als Beobachter in der Nähe einer Kundgebungsbühne, als lautstark skandierend ein Demozug aufmarschierte - mit Frontbanner »Bündnis 90 die Grünen«. Gleichschritt und Gegröle weckten Erinnerungen an finsterste Vergangenheit. Durch die uniforme Maskierung war akustisch kaum zu verstehen, was da gebrüllt wurde.

Als die Truppe an mir vorbeikam, hörte ich Wortfetzen wie: »Wer mit Nazis mitmarschiert ...«. Ich nahm Blickkontakt zu einem der jungen Leute auf und fragte, wen sie da eigentlich ansprechen wollten. Mit grimmiger Miene wurde ich angeschrien: »Na Sie, genau Sie sind gemeint, Sie alter Nazi!«

Vor vierzig Jahren durfte ich mit meinen Wahlkampf-Konzerten das Zünglein an der Waage spielen, um der jungen grünen Partei ihre 5,1 Prozent für den Einzug in den Landtag zu verschaffen. Heute spielen sich manche ihrer jungen Mitglieder auf wie kultur-und gesichtslose Herrenmenschen. Offenbar ungebremst von der Parteiführung spalten sie die Gesellschaft, getrieben vom Virus der Angst und Arroganz, irregeführt und gleichgeschaltet vom Mainstream der Medien. Mein Wunsch wäre, dass die Redakteure genauer hinschauen, dass sie differenzierter über die Pandemie-Debatte berichten. Experten wie Prof. Sucharit Bhakdi und viele andere müssen genauso zu Wort kommen wie Prof. Christian Drosten. Anstelle der täglich gefütterten Schockstarre würde endlich ein wissenschaftlicher Diskurs in Gang kommen - und die Grünen hoffentlich wieder zur Vernunft.

Thomas Felder, Reutlingen

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