Lesefrüchte
November 2019
Hier sammeln wir Artikel, die auch über den Tag hinaus interessant sind.
Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, verschieben wir ältere Empfehlungen ins „Archiv“.
Jens Wernicke: Herr Mausfeld, keine soziale Bewegung der vergangenen Jahre hat so viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und eine solche Breitenwirkung entfaltet wie die Fridays for Future-Bewegung. Sehen Sie darin etwas, das uns Hoffnung auf wirkliche Veränderungen geben kann?
Rainer Mausfeld: Die Fridays for Future-Bewegung und andere Klimabewegungen sind notwendig, erfreulich und begrüßenswert! Es erscheint mir wichtig, das zunächst festzuhalten, weil sich das, was sich im Moment in einigen sozialen Medien gegen diese Bewegung entlädt, nur als Diskursverrohung bezeichnen lässt.
Als Aktivistin bei der Volksbewegung, die zum „Fall der Mauer“ führte, schildert Daniela Dahn die Hoffnungen vieler DDR-Bürger auf eine „bessere DDR“, wie aber nach und nach westdeutsche Interessen in den Vordergrund gerückt wurden und wie schließlich die Treuhand DDR-Volkseigentum an meist westdeutsche Unternehmer verscherbelte. Prädikat: „Sehr erhellend“ Hier ein kurzer Auszug:
Auf Seiten der als Revolutionäre Bezeichneten war die Zuversicht, endlich mitgestalten zu können, noch ungebrochen. Dass es wichtig war, den taumelnden Verhältnissen durch neue Gesetze Stabilität zu geben, war klar. Ich saß zu dieser Zeit in zwei Arbeitsgruppen, eine vom Schriftstellerverband, die ein neues Pressegesetz mit innerredaktioneller Mitbestimmung entwarf. Und eine von der ersten unabhängigen Untersuchungskommission der DDR, die sich nach den gewaltsamen Vorkommnissen im Oktober um ein bürgernahes Polizeigesetz kümmerte, wie es auch heute noch ein Fortschritt wäre.
Im Osten hoffte man noch, so könne Demokratie funktionieren. Wir gingen unverzüglich dazu über, den Augiasstall selbst auszumisten. Und ahnten nicht, dass finanzstarke Kräfte am Werk waren, die den Stall so schnell wie möglich mit allem Unrat kaufen wollten. Weil der Mist den Preis senkt und überdies bestens geeignet ist, ihn uns ein Leben lang vor die Nase zu halten. In seiner „Rede an die Deutschen in der DDR“ warnte der langjährige Ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, Günter Gaus:
„Während sonst Leute, die Geld haben, die Orte von Revolutionen fliehen, kann man hier, etwa im Palasthotel, wo ich wohne, die westlichen Gesichter studieren — die Aufkäufer sind da!“
Ein wichtiger Hintergrundartikel über einen sorgfältig geplanten regime-change. Ein kurzer Auszug vom Beginn des Artikels:
"(...) Die Medien haben einen Hype um Klima, CO2 und
Elekrtroautos
geschaffen, der innerhalb von weniger als fünf Jahren aus einem recht
uninteressanten Rohstoff eine Goldgrube gemacht hat. Die Verdienstmöglichkeiten
für Konzerne sind auf Jahre oder Jahrzehnte gesichert, denn Lithium wird in
Zeiten der Elekrotautos das neue Öl. Und Bolivien hat mit 9 Millionen Tonnen
die weltweit größten Lithium-Vorkommen.
Normalerweise läuft der Abbau von Rohstoffen nach immer dem gleichen Muster:
Ein Entwicklungsland hat den Rohstoff, eine westliche Firma schließt mit dem
Land einen PSA-Vertrag ab und beutet die Bodenschätze aus, während das Land in
der Regel mit nicht mehr als 25 Prozent der Einnahmen abgespeist wird. Den Löwenanteil
bekommt der westliche Konzern. Der verarbeitet den Rohstoff dann bei sich zu
Hause weiter und verdient mit der folgenden Wertschöpfungskette noch einmal ein
Vielfaches.
Präsident Morales wollte jedoch nicht, dass Lithium einfach nur in Bolivien
abgebaut und dann im Ausland verarbeitet wird. Er wollte die gesamte Wertschöpfungskette
im Land halten und so für Wohlstand sorgen. 2018 hat Bolivien daher mit der
deutschen Firma ACI-Systems einen Vertrag geschlossen. In der Pressemeldung
konnte man lesen:
„Diese Industrialisierung soll durch die Gewinnung und Herstellung von
Rohstoffen aus Restsole, den Aufbau von Fertigungskapazitäten und die
Produktion von Kathodenmaterial und Batteriesystemen in Bolivien sowie deren
Vermarktung erfolgen.“
Im Klartext: In Bolivien sollte das Lithium abgebaut und verarbeitet werden.
Bolivien hätte fertige Batterien für Elektoaustos exportiert, anstatt nur den
Rohstoff Lithium. Die Gewinne wären vergleichbar mit dem Ölboom der
Vergangenheit.
Aber in Bolivien haben sich Kräfte gegen das Projekt gestellt und Morales hat
es am 4. November ohne Angabe von Gründen gestoppt. Zu dem Zeitpunkt versank
das Land in Unruhen, dazu gleich mehr. Wahrscheinlich sah Morales in dem Deal
mit ACI den Grund für den Widerstand gegen sich und hat gehofft, die Situation
zu entschärfen, wenn er den Vertrag anuliert. Aber das ist Spekulation, weil er
bis heute keine Gründe für den Schritt genannt hat.
Wir sehen, dass es hier einige interessante „Zufälle“ gibt: Ein
Entwicklungsland hat die Chance, aus der Armut zu entkommen und eine deutsche
Firma will dabei helfen. Und plötzlich findet ein Putsch statt und das Projekt
wird gekippt. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass demnächst
US-Firmen den Zuschlag für den Abbau von Lithium in Bolivien bekommen und die
Weiterverarbeitung zu Batterien nicht in Bolivien stattfinden wird.
Nun kommen wir zu der interessanten Frage, wie all dies eingefädelt wurde. Und
wie ich eingangs sagte, werden wir eine neue Technik aus der Trickkiste der
US-Regimechanges kennen lernen."
Dagmar Henn: Die fossile Befreiung
Hier ein kurzer Auszug:
Reines Teufelszeug seien sie, die fossilen Energieträger, so die gegenwärtig von Vielen geäußerte Überzeugung; verbannen müsse man sie, so schnell wie möglich, und um jeden Preis. Zur Not, solche Aussagen finden sich immer wieder, müsse man eben auf Eselskarren oder Transportfahrräder zurückgreifen, Hauptsache, keine Kohle, kein Gas, kein Benzin mehr. Wir müssten uns nur alle einschränken, Verzicht üben, dann ginge das schon.
Solche Fantasien setzen gleich zweierlei Arten völliger Unkenntnis voraus – über die historische Bedeutung der Entdeckung fossiler Energien und über die logistischen Voraussetzungen einer modernen Gesellschaft. Denn keiner der Verfechter dieser Meinung würde tatsächlich sein Leben gegen dasjenige tauschen wollen, das er in der Zeit vor der Nutzung fossiler Energieträger hätte führen müssen, ein Leben wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Damals stand, zumindest in Deutschland, die Nutzung der Steinkohle noch ganz am Anfang; die Nutzung des Erdöls ist eine Entwicklung erst des 20.Jahrhunderts. Transporte erfolgten auf dem Wasser, durch Tierkraft oder gar durch Menschen; der reine Zustand der Unschuld sozusagen. Auch zur Verrichtung nötiger Arbeiten standen keine anderen Energien zur Verfügung; Bergwerkspumpen wurden mit Pferden betrieben, die ihr ganzes Dasein damit verbrachten, im Kreis zu laufen, Lastkähne, die gegen den Strom fahren wollten, wurden oft gar mit Menschenkraft stromaufwärts gezogen.
Neun Zehntel der Bevölkerung lebten damals auf dem Land und waren mit Landwirtschaft beschäftigt. Die meisten Bauernhöfe, sofern man sie aus heutiger Perspektive so nennen kann, hatten höchstens zwei Hektar Ackerland, nicht genug Fläche, um Zugtiere zu halten, weshalb der Pflug oft selbst gezogen werden musste; je nach Region waren es auch keine Bauern, sondern Tagelöhner oder gar Leibeigene – die Leibeigenschaft verschwand in Deutschland endgültig erst 1918.
Es war mühsam, sich mit den vorhandenen Möglichkeiten das Überleben zu sichern; chemische Dünger waren noch unbekannt, und organische Dünger waren nur jenen zugänglich, die deutlich mehr Land ihr eigen nennen konnten. Aber ja, dieses Dasein war geradezu ein Ideal der Nachhaltigkeit; man verhungerte halt oder verstarb an allerlei Infektionen, doch es gab keinen Plastikmüll und keine Antibiotikarückstände.
Seinen „Zwischenruf“ hat Duschner mit vielen informativen Links belegt.
Bereits mehrfach haben die Patriarchen und Bischöfe Syriens eindringlich um die unverzügliche Aufhebung der Sanktionen gegen ihr Land gebeten [5]. Mit dem Erzbischof von Genua, Kardinal Bagnasco, Vorsitzender des Rates der europäischen Bischofskonferenzen, haben sie einen wichtigen Fürsprecher. Die Sanktionen verurteilt er als „eine Form des Krieges, um ein Land zu begraben“ [6]. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat auf der UNO–Generalversammlung ihre Aufhebung gefordert [7]. Die deutschen Bischöfe mit Kardinal Marx an der Spitze schweigen dagegen beharrlich seit über 8 (!!!) Jahren, sieht man von einzelnen Ausnahmen ab [8]. Dabei verfügen sie mit Zehntausenden von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern, ihren Organisationen und Medien durchaus über die Möglichkeit, unsere Bevölkerung über das gezielte Aushungern der syrischen Bevölkerung durch die Sanktionen zu informieren und für ihre Aufhebung zu mobilisieren.
Wir haben uns deshalb unter Bezugnahme auf die Appelle der syrischen Patriarchen und Kirchenvertreter an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, gewandt. In unseren Schreiben baten wir ihn, sich hinter die Forderungen seiner syrischen Amtskollegen zu stellen und die ganze Kraft der katholischen Kirche in Deutschland für die Aufhebung der Sanktionen zu mobilisieren.
WIE DER KARDINAL DAS AUSHUNGERN BAGATELLISIERT UND RECHTFERTIGT
In den beiden Antwortschreiben, die uns in seinem Auftrag Dr. Legutke [9] und Ulrich Pöner [10] vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz geschickt haben, wird deutlich, dass Kardinal Reinhard Marx mit seinen Mitarbeitern dazu nicht bereit ist.
Das Grundlagenpapier der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ist schlicht und einfach eine intellektuelle - und damit auch eine moralische - Zumutung
Schon seit 2005 geistert im Antisemitismus-Diskurs eine sogenannte "Arbeitsdefinition Antisemitismus" herum. Nach der Annahme durch die Konferenz der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) im Jahr 2016 wurde dieser Definitionsvorschlag in den 33 Mitgliedsstaaten dieser Allianz, zu der fast alle westlichen Staaten gehören, quasi zur Geschäftsgrundlage der gesamten öffentlichen Antisemitismus-Debatte - und damit zum wichtigsten begrifflichen Instrument im politischen Kampf gegen jede Art von "ungerechtfertigter" Kritik an der aktuellen Politik Israels in punkto Palästina.
In Deutschland gilt der Anti-BDS-Beschluss des Bundestags vom 17. Mai 2019 als bisher wichtigster Etappensieg in diesem Kampf; in simpler Anwendung besagter Arbeitsdefinition markiert der Beschluss diese Bewegung blanko als "antisemitisch". Dieser Beschluss wurde von einigen Antisemitismus-Beauftragten und Stadtverwaltungen als Gütesiegel für ihre eigene politische Korrektheit verstanden und entsprechend emphatisch begrüßt. Auch wenn das einige Gerichte bisher noch etwas anders sehen, wie beispielsweise das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht.
Nun aber ist etwas höchst Merkwürdiges geschehen. Jemand hat sich, nachdem mit dieser Arbeitsdefinition seit sage und schreibe nunmehr 14 Jahren tagein tagaus gearbeitet wird, doch tatsächlich die Mühe gemacht - und besagte Arbeitsdefinition einer ersten näheren Betrachtung gewürdigt und das Ergebnis dieser Betrachtung sogar auch noch öffentlich gemacht. Siehe die folgende Online-Publikation der Rosa Luxemburg Stiftung vom 29. Oktober 2019: Gutachten zur "Arbeitsdefinition Antisemitismus" der International Holocaust Remembrance Alliance. Autor: Peter Ullrich.
Wer sich am Antisemitismus-Diskurs fürderhin beteiligen will, wird sich - wenn er noch ernst genommen werden will - mit diesem Gutachten auseinandersetzen müssen.
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Hier einige Auszüge daraus:
Deutschland braucht mehr Einfluss in der Welt, ist eine im Mainstream und in der deutschen Politik oft wiederholte Forderung. Das ist nicht der Fall. Denn wo Deutschland jetzt schon Einfluss hat, ist dieser schädlich: Völkerrechtsbruch, Krieg, Hunger, Not und Flucht.
Es war eine bizarre Sendung. Im Presseclub diskutierten am Sonntag, dem 27.10., Journalisten des Mainstreams den Vorschlag Kramp-Karrenbauers, eine Sicherheitszone in Nordsyrien unter deutscher Beteiligung einzurichten. Sie diskutierten den Vorschlag in einer Weise, als läge diese Option tatsächlich auf dem Tisch. Das tut sie definitiv nicht. Für niemanden, nirgendwo auf der Welt außer für ein paar gut eingeigelte deutsche Journalisten und ein paar Traumtänzer in der deutschen Politik. Dennoch konjugieren die Journalisten in der Sendung die Konjunktive durch, die dieser Vorschlag ihrer Meinung nach mit sich bringt. Als Zuschauer ist man peinlich betroffen angesichts dieser offen zur Schau gestellten Weltfremdheit. Es war geradezu surreal.
Am Vorschlag Karrenbauers und an der Sendung zum Vorschlag werden zwei Dinge überdeutlich: Zum Einen, wie absolut realitätsfern deutsche Außenpolitik ist, zum Anderen wie wohlwollend der Journalismus des deutschen Mainstreams diese Realitätsferne positiv begleitet, kommentiert und einordnet. Beide Formen des Scheiterns an Realität inspirieren und verstärken sich offenkundig gegenseitig. Völkerrechtliche Bedenken hatte in der Runde übrigens niemand, obwohl schon der jetzige Einsatz der Bundeswehr in Syrien das Völkerrecht bricht. Gefragt wurde nur nach dem Ausmaß und der Art eines für alle anwesenden Journalisten klar notwendigen zukünftigen Engagements Deutschlands in der Welt. Mit anderen Worten, hier diskutierten Journalisten des Spiegel, des Handelsblattes, der Zeit und mit Stephan Hebel ein ehemaliger Redakteur der Frankfurter Rundschau völlig an der von Russland und der Türkei geschaffenen Realität vorbei. Dabei blieb die Grundannahme unhinterfragt: Deutschland muss eine wichtige außenpolitische Rolle spielen - Warum eigentlich? Niemand weiß es so genau. Diese Frage stellt ebenfalls niemand. Es hat irgendwas mit dem Rückzug der USA aus der Weltpolitik zu tun, mit der ökonomischen Stärke Deutschlands (die allerdings im Schwinden begriffen ist) und mit einer moralischen Verpflichtung, die Deutschland irgendwie aus seiner Geschichte zufällt. Schlagworte, nichts Konkretes. Und nachdem diese Frage schon ungestellt bleibt, ist die deutsche Geisteshaltung, die diesem wachsenden Einfluss zugrunde liegen soll, überhaupt kein Thema. Das ist allerdings nicht nur in der Sendung so, sondern allgemeiner Status der Diskussion im Land zum Thema "deutsche Verantwortung".
(...)
Aber vielleicht nochmal zurück zu den Geschehnissen in Syrien: Mit dem Treffen und der Verabredung zwischen Putin und Erdoğan neigt sich der Syrienkrieg seinem Ende entgegen. Die territoriale Integrität Syriens bleibt erhalten, Assad bleibt Präsident. Die Türkei kontrolliert gemeinsam mit Russland – laut Vereinbarung nur vorläufig – einen Streifen an der Grenze zur Türkei, was den Sicherheitsbedenken der Türkei Rechnung trägt. Die Kurden ziehen sich aus diesem Gebiet zurück. Ganz objektiv betrachtet: ein gelungener, großer diplomatischer Wurf. Angesichts dieser Entwicklung gibt es aber einen ganz großen Verlierer in diesem Konflikt: Die USA und deren westliche Allianz. Die USA als Hegemon und das damit verbundene Militärbündnis inklusive der NATO sind nachhaltig beschädigt.
Russland sichert NATO-Außengrenze während Deutschland internationales Recht missachtet
Das westliche Bündnis und mit ihm die NATO trägt sichtbare Blessuren davon, denn für die Sicherheitsinteressen eines ihrer Mitgliedsländer steht nun Russland ein. Ganz konkret. Russland übernimmt Sicherheitsgarantien für das NATO-Mitgliedsland Türkei, patrouilliert, kontrolliert und sichert gemeinsam mit der Türkei die Unversehrtheit einer der Außengrenzen der NATO. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die in der NATO versammelten Bündnispartner waren in diesem Konflikt nicht in der Lage, die sicherheitspolitischen Interessen der Türkei zu wahren. In diesem von Russland, der Türkei und auch Syrien gesteckten Rahmen ist gar kein Raum für irgendein deutsches Engagement.
Wenn künftig Historiker über den Untergang der westlichen Hegemonie sprechen werden, wird Syrien, so viel steht schon jetzt fest, in dieser Geschichte einen zentralen Wendepunkt markieren. In Syrien scheitern die USA und ihre westlichen Verbündeten mit ihrer Politik des Regime Change, des Völkerrechtsbruches als vermeintlich legitimes Mittel westlicher Geostrategie und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. In Deutschland kommen diese Fakten alle irgendwie nicht an. Dabei ist es eine Tatsache: In Syrien kommen Völkerrecht und Diplomatie wieder zu ihrer Geltung - allerdings nicht durch die Bemühungen des Westens wohlgemerkt, die diese ausgehöhlt haben. Auch Deutschland war an der Sabotage des Völkerrechts maßgeblich beteiligt. Schon aus diesem Grund ist ein stärkerer Einfluss Deutschlands in der Weltpolitik nicht wünschenswert, denn Deutschland achtet internationales Recht nicht.
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Falsche Freunde der Demokratie verwechseln gerade Angriff und Verteidigung. Es braucht ein liberales Bollwerk gegen Faschismus von links und rechts.
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst der identitären Linken. Diese findet, dass bestimmte Menschen vom Diskurs ausgeschlossen gehören. Meinungsfreiheit ja, aber bitte nur in dem von ihr vordefinierten Raum, nach den Massstäben der eigenen «diversity» und sicherheitshalber mit Sascha Lobo als Türsteher – denn was rote Linien sind, bestimmen jetzt nicht mehr Gesetze und Verfassungen, sondern ein wolkiger «gesellschaftlicher Konsens», also im Zweifel ein Twitter-Mob. Das alles ist in den Augen der identitären Linken höchst fortschrittlich und anständig, wenn auch unklar ist, wie die selbsternannten wehrhaften Demokraten die Demokratie retten wollen, wenn sie zugleich ihr tragendes Element, die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, abschaffen.
Für eine Vorschau auf die neuen Massstäbe genügt ein Blick in die Praxis: In den letzten Wochen verlor der Geschäftsführer der hessischen Filmförderung seinen Job, weil er mit dem Chef der AfD zu Mittag gegessen hatte. Die Vorlesungen von Bernd Lucke an der Universität Hamburg werden massiv gestört, ohne dass die Unileitung für Ordnung sorgt. Und der deutsche FDP-Chef Christian Lindner darf an besagter Uni nun auch nicht auftreten – Kevin Kühnert und Sahra Wagenknecht allerdings schon. Es muss irgendwie an diesen höchst eingängigen roten Linien liegen, dass manche noch das Privileg der öffentlichen Rede an der Universität Hamburg geniessen und andere nicht.
(...)
Lepra ist eine Krankheit, die die Nerven befällt und zum Absterben des Schmerzempfindens führt. Leprakranke verlieren Gliedmaßen, weil sie Verletzungen nicht mehr wahrnehmen; sie stoßen, schneiden, verbrennen sich, ohne es zu bemerken. Die fehlende Selbstwahrnehmung führt zu stetiger Selbstverstümmelung.
(...)
Das Deutschland von heute scheint unter einer Form politischer Lepra zu leiden. Es verstümmelt sich zusehends, aber nirgends ist eine Schmerzreaktion zu erkennen. Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder die Wirtschaftsleistung und der Reichtum beständig steigen, die Lebensbedingungen der Mehrheit sich aber stetig verschlechtern? Wie kann es sein, dass niemand Scham zu empfinden scheint, wenn hunderttausende keine Wohnung haben, wenn die Schulbildung immer seltener gesichert ist, wenn das Gesundheitssystem an immer mehr Stellen die Versorgung nicht mehr leistet?
Eigentlich sollte schon die Pünktlichkeitsstatistik der Bahn dafür ausreichen, die Verantwortlichen geteert und gefedert aus der Stadt zu jagen, und das ist noch ein minderes Verbrechen auf der Liste, weil der Menschen zugefügte Schaden in anderen Bereichen noch weit größer ist. Die Hälfte der Renten unter 800 Euro? Keine nationale Schande?
Jedes soziale Thema wird einmal kurz durch die Gazetten gejagt und dann von drei Wochen Stickoxide abgelöst. Dabei sind es diese Themen, die über das alltägliche Wohl und Wehe entscheiden, sie gehen unter die Haut, aber sie werden nur als individuelle Probleme dargestellt und behandelt, und mit Hilfe entsprechend bösartig gestalteter Begriffe wie ’sozial schwach‘ wurde diese Sicht tief im Denken verankert.
Assistiert hat dabei jene bizarre Ideologie, die sich ‚antideutsch‘ nennt, und der es gelang, selbst bei jenen, die sich für links halten, jeden Bezug auf Gemeinschaft oder gar Nation zum Baustein des Faschismus zu erklären.
Weiterlesen: Die lepröse Republik
Eigentlich ist es notwendig, den ganzen, recht langen Text des Vortrags zu lesen. Trotzdem
seien hier einige Auszüge daraus vorgestellt, um den Appetit anzuregen:
Notwendige und zusammengenommen hinreichende Bedingungen, um zu Recht als Antisemit bezeichnet zu werden
Wer ist Antisemit? Diese Frage ist doppeldeutig. Man kann sie so verstehen, dass sie nach einer Liste verlangt, auf der im Idealfall alle Antisemiten namentlich aufgeführt sind. Man kann sie aber auch (abstrakter) als Definitionsfrage auffassen, d.h., als Frage danach, welche Bedingungen notwendig und zusammengenommen hinreichend sind, um zu Recht auf dieser Liste zu stehen. Diese zweite (abstraktere) Lesart ist ganz klar die grundlegendere. Sie steht im Folgenden daher im Mittelpunkt. Sie wurde, so meine dann in der Diskussion näher auszuführende Einschätzung, bisher sträflich vernachlässigt. Das will ich ändern. Weil es sich ändern muss.
1. Antisemitische Einstellungen
Also: Genau wann bin ich Antisemit?
Meine Antwort ganz grob: Ein Antisemit ist jemand mit einer antisemitischen Einstellung. Und ich wäre ein manifester Antisemit, wenn sich diese antisemitische Einstellung auch in meinem (körperlichen oder auch verbalen) Verhalten manifestiert - andernfalls wäre ich ein latenter Antisemit.
Das Antisemitismus-Label lässt sich also auf drei verschiedenen Ebenen anbringen: Nämlich auf:
Subjekte / Akteure (Individuum, Kollektiv, Institution
Verhaltensweisen
Einstellungen
Und auf jeder dieser drei Ebenen gibt es entsprechende Diskriminierungs-Parallelen:
Subjekte / Akteur: Rassist, Sexist, Nationalist,
Verhalten: Rassistisches, Sexistisches, Nationalistisches,
Einstellungen: Rassistische, Sexistische, Nationalistische
In all diesen Fällen ist der jeweilige Begriff der Einstellung der grundlegende. Mit ihm lassen sich die beiden anderen Begriffe definieren; aber nicht umgekehrt.
Der Kern dieses Ansatzes ist also: Antisemitismus = Juden-Diskriminierung. Punkt.
Dasselbe nochmal:
(AS.E) Antisemitisch ist eine Einstellung genau dann, wenn ihr zufolge ein Jude schon allein deswegen weniger wert sein soll, weil er Jude ist.
Diese Definition stellt den Diskriminierungsaspekt auch beim Antisemitismus - genau wie auch in den entsprechenden Definitionen für Rassismus, Sexismus und Nationalismus - in den Mittelpunkt. Das hat den ganz großen Vorteil, dass genau damit die gemeinsame Quelle ihrer prinzipiellen moralischen Verwerflichkeit herausgestellt wird.
Antisemitisch, rassistisch, nationalistisch, sexistisch etc. - das sind durch die Bank stark wertende Ausdrücke, mit denen wir die betreffenden Akteure, Verhaltensweisen und Einstellungen als moralisch verwerflich verurteilen. Und zwar ohne jede Einschränkung, ohne jedes Wenn- und Aber.
Und dies auch zu Recht. Denn: Für keine dieser Verhaltensweisen oder Einstellungen gibt es (anders als z.B. für Lügen oder gar Tötungen in Notfällen) irgendeine moralische Rechtfertigung. Solche Verhaltensweisen und Einstellungen sind einfach schon per se moralisch verwerflich. Anders als bei Notlügen oder auch bei Notwehr gibt es keine auch nur denkbaren Ausnahmezustände (Not-Situationen), in denen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus etc. rechtfertigbar wären.
Das hat einen ganz einfachen Grund. Diese Verhaltensweisen und Einstellungen verstoßen allesamt gegen eines unserer elementarsten Moralprinzipien. Nämlich gegen das universelle Diskriminierungsverbot, wonach jegliche Art von Rassen-, Geschlechts- etc. Diskriminierung verboten ist - und zwar bedingungslos. Ob das, was jemand tut, in moralischer Hinsicht gut oder schlecht (richtig oder falsch) ist, das darf unter keinen Umständen davon abhängen, ob die betreffende Person weiß oder gelb oder schwarz ist; auch nicht davon, ob Mann oder Frau; und ebenso auch nicht davon, ob sie Jüdin ist oder nicht.
Dieses Diskriminierungsverbot wird oft auch als Gleichheitsgebot formuliert: In moralischer Hinsicht sind alle Rassen, Geschlechter und Ethnien etc. ohne jede Einschränkung gleich. Zu welcher Rasse wir gehören, zu welchem Geschlecht, zu welcher Ethnie etc. - all dies ist in moralischer Hinsicht absolut irrelevant.
Das universelle Gleichheitsgebot setzt keine empirischen Gleichheitsannahmen voraus; es fordert auch keine undifferenzierte Gleichbehandlung. Es verlangt nur, dass, auch wenn wir verschiedenen Rassen oder Geschlechtern, Ethnien etc. angehören, unsere gleichen Interessen unter den gleichen Umständen auch in gleicher Weise berücksichtigt werden müssen. Dass zum Beispiel das Leid einer jüdischen Mutter über den Tod ihres Kindes genauso viel zählt wie das gleiche Leid einer deutschen Mutter - oder auch einer palästinensischen.
(...)
Und last but not least: Unser Grundbegriff der negativen Juden-Diskriminierung lässt auch völlig offen, wie der Begriff "Jude" selber zu definieren ist. Mit gutem Grund. Zum einen geht es bei diesem Antisemitismus-Konzept ohnehin gar nicht darum, wer objektiv Jude ist, sondern (wie wir gleich noch sehen werden) nur darum, dass das diskriminierende Subjekt sein Diskriminierungs-Objekt für eine Jüdin oder einen Juden hält. Und zum anderen kann und sollte man die entsprechende Selbstbestimmung ohnehin lieber ,den Juden' selbst überlassen. Und ob diese sich jemals selber darüber einigen können oder nicht, das ist zum Glück für eine klare Bestimmung dessen, was unter Antisemitismus zu verstehen ist, völlig irrelevant.
2. Antisemitisches Verhalten
So viel zum zentralen Begriff einer antisemitischen Einstellung . Unsere nächste Frage: Wann ist ein Verhalten antisemitisch ?
Die Antwort kennen Sie schon: Genau dann, wenn sich in ihm eine antisemitische Einstellung manifestiert. Dies nun etwas genauer.
Allgemeine Definition
(AS.V*) Ein Verhalten von X gegenüber Y ist antisemitisch gdw.
1. das Verhalten von X gegen Y gerichtet ist
2. und dies deshalb, weil X glaubt, dass Y jüdisch ist - und
3. weil X glaubt, dass Juden als solche weniger wert sind.
(...) (...) ...
5. Dicke logische Fehler
Zum Schluss will ich noch kurz auf ein Problem aufmerksam machen, dessen Folgen ungeheuer große sind, das aber trotzdem in der ganzen Antisemitismus-Debatte bisher total unterbelichtet geblieben ist: Es geht um den Unterschied zwischen einer Diskriminierungs-Einstellung einerseits und den diversen möglichen Gründen für diese Einstellung andererseits. Zu diesen Gründen gehört in der Regel auch der Rekurs auf Fakten, Tatsachenbehauptungen also.
Beispiel: Der Rassist Hansen
Hansens rassistische Einstellung: (A) Afrikaner sind (moralisch) weniger wert als Asiaten.
Sein Grund dafür: (B) Der IQ von Afrikanern ist im Durchschnitt geringer als der von Asiaten.
Die meisten reagieren auf dieses Beispiel so: (A) ist absolut verwerflich! Folglich, so der übliche Schluss, muss, wer gegen (A) ist, auch gegen (B) sein. (B) darf einfach nicht wahr sein! Schon die Behauptung von (B) selbst ist eine Diskriminierung.
Warum? Die übliche Antwort: Weil die Bewertung (A) doch schon aus der Behauptung (B) folgt.
Reagieren auch Sie so? Wenn ja, dann begehen auch Sie einen heftigen Fehlschluss. Was nicht so tragisch wäre, wenn Sie damit nicht bereits den gleichen Fehler begangen hätten, den auch der Rassist Hansen macht.
Was wäre denn, wenn - ob wir das nun für schön und gut finden oder nicht - (B) tatsächlich wahr wäre? Ob dem tatsächlich so ist, das spielt jetzt gar keine Rolle! Wäre, wie der Rassist glaubt (und bisher vielleicht auch wir), die sogenannte Tatsachenbehauptung (B), wenn sie denn wahr wäre, wirklich eine gute Begründung für (A)?
Überhaupt nicht! Und zwar aus zwei Gründen nicht: Erstens: Selbst wenn der IQ von Afrikanern im Durchschnitt schlechter als der von Asiaten wäre: Es könnte und wird trotzdem immer noch Afrikaner geben, deren IQ den von vielen Asiaten übertrifft. Und zweitens und sehr viel wichtiger: Soll denn, welchen IQ jemand hat, wirklich ein Maßstab dafür sein, wie wertvoll er ist? Einspruch! Der moralische Wert eines Menschen ist keine Funktion seines IQ!
Um (A) zu bestreiten, müssen wir also keineswegs auch die Prämisse (B) bestreiten. Wir müssen nur bestreiten, dass, wie der Rassist glaubt, (A) aus (B) logisch folgt. Was falsch ist an der Begründung des Rassisten ist nicht (jedenfalls nicht notwendigerweise) die Prämisse (B); falsch ist, dass aus dieser die Bewertung (A) folgt.
Daraus, dass Rassen-Diskriminierung verwerflich ist, folgt also nicht, dass auch die faktischen Gründe, die jemand für diese Diskriminierung hat oder zu haben glaubt, falsch sein müssen. Es folgt nur, dass diese Gründe keine logisch zwingenden Gründe für die fragliche Diskriminierungseinstellung sein können.
Im Kontext der Antisemitismus-Debatte ist dieser simple logische Sachverhalt anscheinend völlig unbekannt. Anders ist zum Beispiel überhaupt nicht zu erklären, warum die Thesen der amerikanischen Politikwissenschaftler Mearsheimer & Walt über den Einfluss der jüdischen Lobbies auf die amerikanische Außenpolitik oder bei uns erst vor wenigen Tagen der Hinweis des evangelischen Bischofs Adomeit auf die doch ganz unbestreitbare Überidentifizierung vieler gutmeinender Deutscher mit Israel plötzlich so viele Leute hinter ihrem Ofen hervorgelockt haben.
Was ist es, was uns so dumm macht? Was ist es speziell im Kontext der Antisemitismus-Debatte? Brecht hat es klar und deutlich benannt: Angst macht dumm. Es ist die Angst, im Kontext dieser Debatte etwas falsch zu machen. Es ist, übrigens genau wie im Kontext der ganzen Terrorismus-Hysterie, der pycho-soziale Terrorismus, der schon allein mit Hilfe des Wortes "Antisemitismus" (bzw. mit dem Wort "Terrorismus") betrieben wird.
Was dieser kleine Vortrag zeigen sollte: Man muss vor diesem Wort keine Angst haben. Auch über Antisemitismus kann man klar und einfach - also angstfrei - sprechen. Wenn man nur will. Ich will es.
Prof. Dr. Georg Meggle, Beiratsmitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG)