Lesefrüchte
Juni 2025
Hier sammeln wir Artikel, die auch über den Tag hinaus interessant sind und zitieren Auszüge. Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, verschieben wir ältere Empfehlungen ins „Archiv“.
Lesefrüchte im vergangenen Monat
Alexander Dugin: Trump und der globale tiefe Staat: Die Spaltung des Westens
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Alexander Dugin: Trump und der globale tiefe Staat: Die Spaltung des Westens
Alexander Dugin zeichnet nach, wie Donald Trumps Rückkehr an die Macht einen entscheidenden Bruch mit dem globalen Tiefen Staat markiert, der den kollektiven Westen spaltet und den Aufstieg einer multipolaren Welt beschleunigt, während der liberale Globalismus zu kollabieren beginnt.
Mit dem Einzug von Donald Trump und seinem Team in das Weiße Haus begann sich die gesamte Architektur der internationalen Beziehungen zu verändern – und zwar radikal. Eine der wichtigsten Entwicklungen in diesem neuen globalen Bild ist die beschleunigte Fragmentierung des Westens. Es ist schon viel darüber gesagt und geschrieben worden, aber eine gründliche geopolitische und ideologische Analyse dieses Phänomens fehlt noch.
Die Spaltung des Westens ist in erster Linie ideologischer Natur. Geopolitische Aspekte sind zweitrangig. Es geht darum, dass Trump und seine Anhänger – die im Herbst 2024 die US-Wahl gewonnen haben – radikale Gegner des liberalen Globalismus sind. Und das ist keine vorübergehende oder parteipolitische Frage. Es ist eine ernste und prinzipielle Angelegenheit.
Der derzeitige Chef des Weißen Hauses stützt seine gesamte Ideologie, Politik und Strategie auf die zentrale These, dass die linksliberale Ideologie, die den Westen (und die Welt insgesamt) mehrere Jahrzehnte lang – insbesondere nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der UdSSR – dominiert hat, ihr Potenzial vollständig ausgeschöpft hat. Sie hat in ihrer Aufgabe der globalen Führung versagt, die Souveränität der Vereinigten Staaten (dem wichtigsten Motor und Generalstab der Globalisierung) untergraben und muss nun entschieden und unwiderruflich zurückgewiesen werden.
Im Gegensatz zu den klassischen Republikanern der letzten Jahrzehnte (wie George W. Bush) hatte Trump nie die Absicht, den Globalismus im neokonservativen Stil anzupassen, der einen direkten aggressiven Imperialismus zur Verbreitung der Demokratie und zur Durchsetzung der Unipolarität forderte. Trump ist nicht nur ein Gegner der Demokraten in politischen Detailfragen, sondern will die liberale Globalisierung in all ihren Dimensionen abschaffen und bietet seine eigene Vision einer globalen Ordnung an.
Ob er diese Vision umsetzen kann, bleibt eine offene Frage: Der Widerstand gegen Trumps Politik wächst täglich. Aber die Haltung des Präsidenten ist ernst, und seine Unterstützung in der Bevölkerung ist groß – genug, um es zumindest zu versuchen. Und Trump versucht es.
Der Trumpismus – zumindest in der Theorie und in den Hoffnungen seiner engagiertesten Anhänger – lehnt den globalen Linksliberalismus systematisch und konsequent ab. In dieser Ideologie ist der Gegenstand des historischen Fortschritts die gesamte Menschheit, die unter einer (aus Liberalen bestehenden) Weltregierung vereint werden soll. Dies erfordert die Stärkung der globalen Hegemonie der westlichen Demokratien durch ein unipolares Modell und den Übergang zu einer Welt ohne Pole, sobald alle Gegner (Russland, China, Iran, Nordkorea) und zögerlichen Akteure besiegt und zerstückelt sind.
Die Nationalstaaten sollen ihre Autorität schrittweise an ein supranationales Gremium – die Weltregierung – abtreten, die nicht nur einen tiefen Staat, sondern einen globalen tiefen Staat darstellen würde. Dieses Gebilde existiert bereits in der Praxis und arbeitet nach einem vernetzten Modell: Seine Agenten und Unterstützer sind in fast jeder Gesellschaft präsent, oft in Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft, Unternehmen, Bildung, Wissenschaft, Kultur und Finanzen. Im Wesentlichen bildet die heutige internationale Elite – überwiegend liberal, unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit – die Infrastruktur, die dieses globalistische Projekt aufrechterhält.
Die liberale Ideologie fördert einen extremen Individualismus und leugnet alle Formen kollektiver Identität – ethnisch, religiös, national, geschlechtlich – und sogar die Kategorie des Menschseins an sich, wie dies in den Plänen von Transhumanisten und Befürwortern der Tiefenökologie zum Ausdruck kommt. Die Förderung der illegalen Migration, der Geschlechterpolitik und der Verteidigung aller Minderheiten (einschließlich der Übernahme der kritischen Ethnie-Theorie, d. h. des umgekehrten Rassismus) ist daher fester Bestandteil der liberalen Ideologie. Anstelle von Nationen und Völkern sieht sie nur noch quantitative Aggregate.
Gleichzeitig wird die liberale internationale Elite zunehmend intolerant gegenüber jeglicher Kritik. Daher forciert sie aggressiv Methoden der totalitären sozialen Kontrolle – bis hin zur Erstellung eines biologischen Profils jedes Einzelnen, das in Big Data gespeichert wird. Unter dem Banner der „Freiheit“ errichten Liberale effektiv eine Diktatur im Orwellschen Stil.
Diese Ideologie – und die globalen Institutionen, die sie hervorgebracht hat, sowohl legale als auch geheime – haben die USA, den Westen und die Welt im Allgemeinen bis zu Trumps Aufstieg beherrscht. Zu den Ausnahmen gehören Russland, China, der Iran, Nordkorea und bis zu einem gewissen Grad Ungarn, die Slowakei und andere Länder, die sich trotz des Drucks der globalistischen Kräfte dafür entschieden haben, ihre Souveränität zu bewahren und zu stärken.
Der Kernkonflikt entfaltete sich somit zwischen den liberalen Globalisten auf der einen Seite und den auf Multipolarität ausgerichteten Ländern auf der anderen. Dieser Gegensatz erreichte seinen schärfsten Ausdruck im Ukraine-Konflikt, wo ein Nazi-Regime in Kiew von liberalen Globalisten bewusst geschaffen, bewaffnet und unterstützt wurde, um Russland, das einen alternativen Pol zur unipolaren Weltordnung darstellt, eine „strategische Niederlage“ zuzufügen. In islamischen Ländern wird derselbe Zweck von radikal-islamistischen Kräften wie ISIS, Al-Qaida und ihren Verbündeten verfolgt. Das globalistische Marionettenregime in Taiwan fällt im Grunde genommen in dieselbe Kategorie.
Im Allgemeinen war dieses gesamte System – vor Trump – als „kollektiver Westen“ bekannt. In dieser Konfiguration spielten die Positionen der einzelnen Länder und nationalen Regierungen kaum eine Rolle. Der globale tiefe Staat hatte seine eigenen Programme, Ziele und Strategien, die nationale Interessen völlig außer Acht ließen. Dazu gehörten auch die USA selbst: Die liberalen Globalisten der Demokratischen Partei verfolgten ihre Politik ohne Rücksicht auf die Interessen der einfachen Amerikaner. So kam es zur Zunahme der sozialen Ungleichheit, zu extremen Geschlechterexperimenten, zur Überflutung der USA mit illegalen Einwanderern, zur Auslagerung der Industrie, zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems, zum Versagen des Bildungswesens, zum Anstieg der Kriminalität usw. All dies wurde als zweitrangig angesehen im Vergleich zur globalen Dominanz der liberalen Eliten, die die Menschheit in Richtung politische Singularität lenkten – d. h. einen universellen Sprung in eine neue, posthumane Zukunft, in der Technologie den Menschen vollständig ersetzen würde.
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Von Thomas Röper übersetzter Auszug aus:
Glenn Diesen: How Peace-Oriented Norway Learned to Stop Worrying and Love War
Der progandisierte Norweger
Ich möchte hier über „den Norweger“ schreiben, über das kollektive nationale Bewusstsein, das dazu dient, das rationale Individuum zu überwältigen. Bereits Sigmund Freud erkannte, dass das Individuum rational ist, wenngleich das Individuum auch von einer irrationalen Gruppenpsychologie beeinflusst wird. Seit jeher organisieren sich Menschen in Gruppen, um Sicherheit und Sinn zu finden. Sich einer Gruppe anzupassen, ist einer der dominierenden Instinkte der menschlichen Natur.
Carl Jung schrieb dazu über die Grenzen der Vernunft: „Der freie Wille existiert nur innerhalb der Grenzen des Bewusstseins. Jenseits dieser Grenzen herrscht bloßer Zwang.“
Das zentrale Element der Gruppenpsychologie besteht darin, Individuen in ein „wir“ – die eigene Gruppe – und in „die anderen“ – die fremde Gruppe – zu spalten. Wenn Menschen mit Unsicherheit und Angst konfrontiert werden, neigen sie instinktiv dazu, innere Geschlossenheit zu suchen und die fremde Gruppe abzulehnen. Deshalb gedeihen autoritäre Tendenzen besonders gut unter Bedingungen der äußeren Bedrohung.
Die Literatur über politische Propaganda stammt in erster Linie von Edward Bernays, dem Neffen von Sigmund Freud, und baute auf der Arbeit seines Onkels auf. Bernays erkannte, dass das Manipulieren der Stereotypen, die das „uns“ und „die anderen“ ausmachen, die Bedeutung objektiver Realität und die Überlegungen des rationalen Individuums verdrängt: Wenn „wir“ militärische Gewalt einsetzen, dann geschieht das für die Freiheit; wenn unsere Gegner – „die anderen“ – exakt dasselbe tun, dann geschieht es zur Erweiterung eines Imperiums oder zur Zerstörung der Freiheit.
Der Kern der Propaganda besteht somit darin, die Welt als Kampf zwischen Gut und Böse sowie als Auseinandersetzung zwischen Überlegenen und Unterlegenen darzustellen. Die westliche politische Propaganda, in der die Welt früher als ein Gegensatz zwischen Zivilisierten und Barbaren dargestellt wurde, wird heute als Kampf zwischen liberaler Demokratie und Autoritarismus inszeniert. Sobald die Öffentlichkeit dieses Grundprinzip akzeptiert, wird die Komplexität der Welt so stark vereinfacht und verdummt, dass abweichende Meinungen als unmoralisch und gefährlich gelten. Entscheidend ist dann nur noch, dass man Loyalität zur eigenen Gruppe demonstriert.
Walter Lippmann stellte einst fest, dass politische Propaganda zwar den Vorteil habe, die Öffentlichkeit bei Konflikten zu mobilisieren, jedoch den Nachteil, dass sie einen tragfähigen Frieden verhindert. Wenn eine Öffentlichkeit davon überzeugt wurde, sich in einem Kampf zwischen Gut und Böse zu befinden, wie soll sie dann ein gegenseitiges Verständnis oder Kompromisse akzeptieren? Die von Propaganda durchdrungene Öffentlichkeit gelangt zu dem Schluss, dass ein Frieden nur durch einen Sieg des Guten über das Böse erreicht werden kann. In nahezu jedem Konflikt und Krieg des Westens wird der Gegner als Reinkarnation Hitlers dargestellt. Das politische und mediale Establishment des Westens lebt somit dauerhaft in den 1930er-Jahren: Verhandlungen gelten als Appeasement; Krieg ist Frieden. Das ist zutiefst problematisch, denn der erste Schritt zur Verminderung sicherheitspolitischer Spannungen besteht darin, gegenseitige Sicherheitsinteressen anzuerkennen.
Carl Schmitt, der Staatsrechtler der NSDAP, argumentierte, dass die Organisation von Politik entlang des Freund-Feind-Schemas es einer Regierung ermögliche, abweichende Meinungen zu eliminieren. Schmitts Konzept des „inneren Feindes“ stärkt die politische Einheit, indem es jene ausgrenzt, die keine Loyalität zur eigenen Gruppe zeigen und sich nicht dem Glauben und Verhalten der vorgegebenen sozialen Ordnung anpassen.
„Der Norweger“ hat nun ein Jahrzehnt ununterbrochener Obsession mit dem Russiagate-Schwindel, mit Covid und schließlich mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine erlebt. Die ständige Angst und die Suche nach inneren Feinden hat das rationale Individuum erschöpft. Inzwischen haben wir unser kritisches Denken an den Staat delegiert und finden Trost in Orwells Zwei-Minuten-Hass, in dem wir uns gemeinsam mit den von den Medien geschürten moralischen Empörungen gegen die Feinde des Staates vereinen. Die moralische Empörung schenkt Sicherheit, Sinn und Zusammenhalt.
Dieses Problem breitet sich in ganz Europa aus. In Frankreich wurde die führende Oppositionspolitikerin vom Gericht verurteilt, was wie politisch motiviert wirkt. In Deutschland wurde die größte Oppositionspartei als „gesichert extremistische Organisation“ eingestuft, was es den Geheimdiensten ermöglicht, ihre Mitglieder unter Beobachtung zu stellen. Die Einstufung der AfD als „ extremistisch“ ist wahrscheinlich auch ein erster Schritt, sie zu verbieten. In Rumänien wurden die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl für ungültig erklärt, während der Sieger dieser Wahl nicht erneut antreten durfte. Im Vorfeld der Wiederholung dieser Wahl wurden Frankreich und die EU beschuldigt, Einfluss genommen zu haben, um sicherzustellen, dass die Rumänen nicht wieder „falsch“ wählen. Auch in Moldawien und Georgien wurde unter dem Banner des „Schutzes der Demokratie vor Russland“ in Wahlprozesse eingegriffen.
Ironischerweise beruht der innere Zusammenhalt des Westens als „liberale demokratische Gemeinschaft“ zu einem großen Teil auf dem „russischen Anderen“, das als Schreckgespenst dient und so den Prozess des Gruppendenken in Gang setzt, was wiederum den liberalen Charakter des Westens untergräbt.
Menschen neigen dazu, Gemeinsamkeiten mit der eigenen Gruppe zu übertreiben und Unterschiede zur fremden Gruppe zu dramatisieren. Der Norweger blickt – zumindest im Vergleich zum eigenen Land – mit einer gewissen Verachtung auf die USA, besonders dann, wenn dort „falsch“ gewählt wurde. Der Norweger kann zum Beispiel nicht verstehen, warum US-Amerikaner Donald Trump gewählt haben. Das liegt daran, dass der Norweger gar nicht weiß, warum US-Amerikaner Trump gewählt haben, da die norwegischen Medien wie ein Wahlkampfteam für Joe Biden und Kamala Harris gearbeitet haben.
Es ist üblich geworden, US-Amerikaner als dumm und aggressiv darzustellen und nicht selten wurde unter der Präsidentschaft von Trump der Begriff Faschismus bemüht. Doch sobald es zum Thema Russland kommt, wird der US-Amerikaner als Teil der eigenen Gruppe wahrgenommen. Im einfachen Schema von Gut und Böse mutiert der US-Amerikaner dann zum „Guten“.
Die USA verfolgen eine Sicherheitsstrategie globaler Vorherrschaft, dennoch steht der Norweger dem Argument skeptisch gegenüber, wonach es bei der Strategie der USA nicht primär um liberale Werte geht. In der Folge gilt die NATO als eine „Kraft des Guten“ – und wer das hinterfragt, beabsichtigt demnach Zwietracht zu säen und die nationale Tugendhaftigkeit zu untergraben.
Laut dem Norweger hat die NATO 20 Jahre lang Afghanistan besetzt – eine strategisch wichtige Region in Zentralasien –, nur damit kleine Mädchen wieder zur Schule gehen durften. Libyen und Syrien wurden im Namen der Menschenrechte zerstört, und die Expansion des atlantischen Militärbündnisses dient ausschließlich dem Schutz anderer Völker. Auch könne Moskau unmöglich glauben, dass die USA Russland jemals angreifen würden – obwohl wir uns gerade in einem Stellvertreterkrieg gegen Russland befinden und ständig über mögliche Kriege gegen den Iran oder China sprechen.
Der Norweger bezeichnet die NATO als Verteidigungsbündnis, selbst nachdem es Länder bombardiert hat, die niemals ein Mitglied der NATO bedroht haben. Führende NATO-Staaten sind derzeit mitschuldig am Völkermord in Gaza. Und doch ist die gutmütige, liberale demokratische Identität, die der Norweger sich selbst zugeschrieben hat, gegen diese Realität immun. Wer den Westen kritisiert, tut das nicht, um einen Kurswechsel anzumahnen, sondern weil er auf der Seite des Feindes steht.