Lesefrüchte

September 2024

 

Hier sammeln wir Artikel, die auch über den Tag hinaus interessant sind und zitieren Auszüge. Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, verschieben wir ältere Empfehlungen ins „Archiv“.

 


Lesefrüchte im vergangenen Monat   
Thomas Röper: Wie die USA die wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands ... 
Dietrich Brüggemann:
Theo, wir fahren nach rechts

Milosz Matuschek:
Corona-Aufarbeitung: Deutschland im Bann der Kollektivscham

Bandelt et al.
: Woke Sprachverbote 
Gert Ewen Ungar:
Wahlnachlese: Die Delegitimierung der Demokratie


 

Thomas Röper: Wie die USA die wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands und der EU geplant haben

Vor zwei Jahren ist ein US-Papier bekannt geworden, das die wirtschaftlichen Entwicklungen in Deutschland nicht nur geradezu prophetisch vorhergesagt, sondern sie als Ziel der USA bezeichnet hat, das nur dank der deutschen Grünen umsetzbar sei. Alles, was darin stand, ist inzwischen eingetreten.

Der Artikel ist sehr lang. Wir greifen ein Stück aus der Mitte heraus, das uns besonders interessieren dürfte.

„Der einzige Weg, Deutschlands Ablehnung russischer Energielieferungen zu garantieren“
RAND überlegte in seinem Papier dann, wie es die deutsche Regierung zum eigenen Schaden dazu bringen könnte, sich vom billigen russischen Gas zu trennen, wobei der Kern das Vorgehen der USA gegen Nord Stream 2 war, denn die Pipeline stand zu dem Zeitpunkt Anfang 2022 offiziell unmittelbar vor der Inbetriebnahme, was aus Sicht der USA verhindert werden sollte.

Die Öffentlichkeit dachte damals, die Pipeline würde bald eingeschaltet werden, aber bei RAND war man im Januar 2022 schon sicher, dass das nicht geschehen würde:

„Aufgrund von Koalitionszwängen hat die deutsche Führung die Lage im Land nicht vollständig unter Kontrolle. Dank unserer präzisen Aktionen war es möglich, die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 trotz des Widerstands der Lobbyisten aus der Stahl- und Chemieindustrie zu verhindern.“

Und in der Tat hat die Bundesregierung, genauer gesagt Bundeskanzler Scholz persönlich, den Zertifizierungsprozess von Nord Stream 2 am 22. Februar 2022, also noch vor dem russischen Eingreifen in der Ukraine, gestoppt. Das scheint hinter den Kulissen schon vorher beschlossene Sache gewesen zu sein, anders lässt sich nicht erklären, warum RAND im Januar 2022 geschrieben hat, die Inbetriebnahme der Pipeline sei bereits verhindert worden.
Trotzdem war man bei RAND unsicher, ob die Bundesregierung die Entscheidung noch rückgängig machen würde, wenn der Druck in Deutschland wachsen sollte:

„Die dramatische Verschlechterung des Lebensstandards könnte die deutsche Führung jedoch dazu bewegen, ihre Politik zu überdenken und zur Idee der europäischen Souveränität und strategischen Autonomie zurückzukehren.“

Wenn man der Version von Seymour Hersh über die Sprengung der Nord Streams glaubt, war die Vorbereitung der Sprengung streng geheim und bei RAND wusste sicher niemand davon, aber man sah bei RAND und in Washington die Gefahr, dass die Bundesregierung umfallen könnte, weshalb man sich bei RAND Gedanken machte, wie das verhindert werden könnte:

„Der einzig gangbare Weg, Deutschlands Ablehnung russischer Energielieferungen zu garantieren, ist die Einbindung beider Seiten in den militärischen Konflikt in der Ukraine. Unser weiteres Vorgehen in diesem Land wird unweigerlich zu einer militärischen Antwort Russlands führen. Die Russen werden den massiven Druck der ukrainischen Armee auf die nicht anerkannten Donbass-Republiken natürlich nicht unbeantwortet lassen können. Das würde es ermöglichen, Russland zum Aggressor zu erklären und das gesamte Paket der zuvor vorbereiteten Sanktionen gegen das Land anzuwenden.“

„Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle“

Das ist exakt das, was dann passiert ist. Die USA hatten die von Russland vorgeschlagenen Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien zum Monatswechsel Januar/Februar 2022 abgelehnt, und gleichzeitig hat Kiew mit Rückendeckung der USA den Beschuss des Donbass massiv verstärkt, wie die OSZE damals berichtet hat.
RAND hatte alles vorhergeplant: Russland sollte so sehr provoziert werden, dass es sich nur noch zu helfen wusste, indem es in der Ukraine militärisch eingreift, während die westlichen Sanktionen schon fertig in den Schubladen lagen und die Medienkampagne, die Russland zum Aggressor erklären sollte, ebenfalls vorbereitet war.

Der Druck auf die Bundesregierung war danach gigantisch und wir erinnern uns, dass manche der späteren Entscheidungen erst nach massivem Druck von Medien und aus Washington getroffen wurden, wie beispielsweise die Lieferung von Leopard-Panzern. Das Ziel der US-Regierung dahinter war „die Einbindung beider Seiten (also Russlands und Deutschlands) in den militärischen Konflikt in der Ukraine“, um „Deutschlands Ablehnung russischer Energielieferungen zu garantieren“.

Und das hat bekanntlich funktioniert, denn die Bundesregierung hat genau das getan, was RAND wollte.
In diesem Zusammenhang sei an den Antrittsbesuch von Bundeswirtschaftsminister Habeck Anfang März 2022 in den Washington erinnert. Der Focus berichtete seinerzeit darüber:

„„Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle.“ Diese Worte sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem zweitägigen Besuch in Amerika. In den USA sei man erfreut, dass Deutschland bereit sei, „eine dienende Führungsrolle auszuüben““

Die Rolle der Grünen
Ich habe nicht ohne Grund an Habecks Antrittsbesuch in Washington erinnert, denn die Grünen, namentlich Robert Habeck und Annalena Baerbock, spielen in dem RAND-Papier eine Schlüsselrolle und werden darin als einzige deutsche Politiker namentlich genannt, denn in dem Papier heißt es:

„Die Voraussetzung dafür, dass Deutschland in diese Falle tappen kann, ist die führende Rolle der grünen Parteien und Ideologie in Europa. Die deutschen Grünen sind eine stark dogmatische, wenn nicht gar eifrige Bewegung, was es recht einfach macht, sie dazu zu bringen, wirtschaftliche Argumente zu ignorieren. In dieser Hinsicht übertreffen die deutschen Grünen ihre Pendants im übrigen Europa. Persönliche Eigenschaften und die mangelnde Professionalität ihrer Führer – allen voran Annalena Baerbock und Robert Habeck – lassen vermuten, dass es für sie nahezu unmöglich ist, eigene Fehler rechtzeitig zuzugeben.“

Das Papier trägt das Datum 25. Januar 2022 und ich habe seinen Text als weltweit erster am 1. September 2022 veröffentlicht. Heute, zwei Jahre später im September 2024, hat sich das, was da geschrieben stand, mehr als bestätigt, denn in welchem Maße die Bundesregierung – und da allen voran die Grünen – „wirtschaftliche Argumente ignorieren“, übertrifft heute wohl alles, was sich selbst eingefleischte Kritiker der Grünen Anfang September 2022 vorstellen konnten. Aber es ist eingetreten.

Darüber, wie das erreicht werden sollte – und in der Realität auch erreicht wurde -, schrieb RAND damals:

„So wird es ausreichen, das mediale Bild von Putins aggressivem Krieg schnell zu formen, um die Grünen zu glühenden und hartgesottenen Befürwortern von Sanktionen zu machen, zu einer „Partei des Krieges“. Auf diese Weise kann das Sanktionsregime ohne Hindernisse eingeführt werden. Die mangelnde Professionalität der derzeitigen Führer wird auch in Zukunft keinen Rückschlag zulassen, selbst wenn die negativen Auswirkungen der gewählten Politik deutlich genug werden. Die Partner in der deutschen Regierungskoalition werden ihren Verbündeten einfach folgen müssen – zumindest so lange, bis die Last der wirtschaftlichen Probleme größer ist als die Angst, eine Regierungskrise zu provozieren.“

Der geplante dauerhafte Bruch zwischen Deutschland und Russland

Und noch etwas hat RAND damals vorausgesehen:

„Doch selbst wenn SPD und FDP bereit sind, sich gegen die Grünen zu stellen, werden die Möglichkeiten der nächsten Regierung, die Beziehungen zu Russland schnell genug wieder zu normalisieren, spürbar eingeschränkt sein. Die Beteiligung Deutschlands an umfangreichen Waffen- und Rüstungslieferungen an die ukrainische Armee wird unweigerlich ein starkes Misstrauen in Russland hervorrufen, was den Verhandlungsprozess ziemlich langwierig machen wird.“

Ich weise nochmal darauf hin, dass das Papier das Datum 25. Januar 2022 trägt, also zu einem Zeitpunkt verfasst wurde, als es noch kein russisches Eingreifen in der Ukraine gab. Trotzdem hat RAND das bereits als gegeben angesehen und bereits die deutschen Waffenlieferungen an Kiew einkalkuliert. Im September 2022, als ich das Papier veröffentlicht habe, hatte Deutschland gerade entschieden, einige Panzerhaubitzen 2000 zu liefern. Die Leopard-Panzer, mit deren Lieferung Deutschland sich endgültig in die erste Reihe der Kiew-Unterstützer gebracht hat, hat die Bundesregierung bekanntlich erst Monate später, nämlich zur ukrainischen Sommeroffensive 2023, geliefert. 

Aber es ist genau so gekommen, wie RAND es geschrieben hat, und die umfangreichen Waffenlieferungen aus Deutschland an Kiew haben in Russland natürlich ein „starkes Misstrauen“ Deutschland gegenüber hervorgerufen, das eine Annäherung zwischen beiden Ländern sicher für viele Jahre unmöglich macht. 

Und um das weiter zu zementieren, lässt die heutige Kamikaze-Bundesregierung keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass Deutschland nach den USA das Land ist, welches die Ukraine militärisch und finanziell am meisten unterstützt. Die Rechnung von RAND ist exakt aufgegangen, was für Normalsterbliche in dieser Form nicht im September 2022, als ich das Papier veröffentlicht habe, und erst recht nicht im Januar 2022, als das Papier fertiggestellt wurde, vorhersehbar war.

 


 

Dietrich Brüggemann: Theo, wir fahren nach rechts

Hier der Schluss von Brüggemanns Überlegungen

(...) So wie es Gesinnungs- und Verantwortungsethik gibt, so gibt es in der Kommunikation die Sach- und die Beziehungsebene. Es gibt den Inhalt und die Struktur. Wenn ich dich ins Gesicht schlage, weil da eine Mücke sitzt, die eine tödliche Krankheit überträgt, dann habe ich dir damit vielleicht das Leben gerettet. Das wäre die Sachebene. Sie kann stimmen oder nicht. Es bleibt die strukturelle, die Beziehungsebene: Ich habe dich ins Gesicht geschlagen. Das ist erstmal so.

Sehr viele Menschen haben die letzten Jahre als einen fortwährenden Schlag ins Gesicht empfunden. Die Struktur dessen, was da geschehen ist, war eindeutig und bekannt von autoritären Regimes: Ausgangssperren, Kontaktverbote, Überwachung, Strafen, Drohungen, Zugangsbeschränkungen, Ausweispflicht und so weiter. Das hat objektiv stattgefunden. Auf der Sachebene wurde es legitimiert mit der Erzählung vom tödlichen Virus. Ich finde es immer noch bemerkenswert, dass für viele Leute diese Erzählung ausreicht, um all die oben genannten Dinge komplett zu neutralisieren. Da kann die Polizei noch so sehr auf wehrlose ältere Damen einprügeln, die das Grundgesetz in die Höhe halten – es ist für den guten Zweck und gegen das Virus und außerdem gegen Rechts. So geht Gesinnungsethik.

Und so bringt man die AfD zu Wahlerfolgen. Das war zumindest mein erster Gedanke. Ich habe 2013, als noch niemand von “Willkommenskultur” sprach, warme Klamotten eingesammelt und eigenhändig in Erstaufnahmestellen gefahren. Es ergab sich, weil eine iranische Freundin dort dolmetschte und von allgemeinem Mangel berichtete, also tat ich etwas (und das war dann wohl Verantwortungsethik). Ich dachte 2015 trotzdem: Könnt ihr ja machen, aber dann habt ihr halt bei der nächsten Wahl 15% AfD im Bundestag. So kam es dann auch. Und ich dachte 2020, als der Corona-Wahnsinn losbrach: Könnt ihr ja machen, aber dann werden es halt 20% AfD. Da lag ich zunächst falsch. Könnte aber noch passieren. (Die iranische Freundin wurde dann übrigens auch scharfe Maßnahmenkritikerin und sieht die derzeitige Migration mit gemischten Gefühlen.)

Die interessante Frage ist also nicht die, wie gesichert oder ungesichert rechtsextrem die AfD ist (na sicher findet man da üble Neonazis), sondern was für Anliegen es sind, die zu diesen Wahlergebnissen führen, und ob diese Anliegen per se unredlich sind, und warum keine andere Partei sich dazu herbeilässt, diese Lücke zu schließen. (Hervorhebung bm)  Und ich frage mich mehr und mehr, was aus einer Gesellschaft werden soll, die sich den Kopf immer mehr zumauert. Auf allen Gebieten, ob Umwelt-, Gesellschafts-, Verkehrs-, Migrations- oder Gesundheitspolitik, gibt es im Grunde nur eine Haltung, die man einnehmen muß, wenn man nicht vom Polit-Medien-Literaturbetriebs-Feuilleton-Musikbranchen-Öffentliche-Meinungszirkus als “rechtslastig” benaserümpft werden will. Gleichzeitig wird der Widerspruch immer lautstärker und ärgert die Mächtigen immer mehr, was man z.B. daran sieht, dass die Grünen jetzt die Plattform, die ich immer noch Twitter nenne, gern verbieten möchten. Und in persönlichen Gesprächen merkt man immer mehr, dass viele Leute die Augen verdrehen und es ihnen irgendwann einfach egal ist, ob sie jetzt als “rechts” gelten. Mir zumindest ist es seit geraumer Zeit völlig egal, denn dieser Vorwurf hat mit Corona jegliche inhaltliche Berechtigung eingebüßt. Die Bruchstelle ist und bleibt diese Zeit, die ich weiterhin als Massenhysterie bezeichne und deren rückblickende Einschätzung sich allmählich doch immer mehr dem annähert, was ich weiterhin als Vernunft bezeichne. Da aber andererseits die kollektive Betonköpfigkeit gerade in diesem Punkt unermesslich zu sein scheint, habe ich keine Ahnung, wie das weitergehen soll und was als nächstes kommt, außer weiteren Wahlerfolgen der AfD mit entsprechender medialer Begleitmusik, aber dazu habe ich jetzt wirklich genug gesagt.

 


Milosz Matuschek: Corona-Aufarbeitung: Deutschland im Bann der Kollektivscham 

Deutschland scheut sich vor der Aufarbeitung der Corona-Zeit wie vor einer Wurzelbehandlung. Auch andere Themen blenden wir lieber aus. Wiederholt sich ein deutsches Trauma?

(...) Wo es keinen Willen zur Selbsterkenntnis gibt, gibt es keinen Willen zur Realität. Wenn wir nicht wissen, wer wir selbst sind und wo wir wirklich stehen, ist jeder Weg beliebig. Geben wir gerade die Wahrheit über uns selbst preis? Mit Novalis gesprochen: Vollziehen wir gerade einen Verrat an der Wahrheit und an uns selbst? Und man darf erstaunt hinzufügen: Erneut? (...)

Das nächste Aufarbeitungs-Tabu wartet. Es ist im besten Deutschland aller Zeiten für Politiker mit Pharmahin­tergrund problemlos möglich, ins Blaue hinein Grundrechtsverstöße in Massen zu begehen und dabei die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt zu verspielen. Deutschland hat während Corona (https://www.berliner- zeitung.de/topics/corona) erneut gezeigt, dass es bei experimentellen Menschenversuchen an vorderster Front mit dabei ist. Wie will man das ehrlich aufarbeiten? (...)

In einer echten Demokratie würde über diese Themen über Wochen intensiv gestritten, und zwar ergebnisoffen. In einer gelenkten Demokratie wie der unseren wird skandalisiert und angeprangert, wer es wagt, an diesen Ta­bus zu rütteln. (...)

Im Reich der Lüge ist das Aussprechen der Wahrheit der eigentliche Verrat. Den neuen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ haben wir jetzt als Folge. Eine Mehrheit traut sich gar nicht mehr mit der eigenen Ansicht an die Öffentlichkeit, es folgt ein Rückzug ins Private, in die Echokammer des Stammtisches oder in die Schwei­gespirale und Vereinsamung. Diese Entwicklung kann nicht richtig sein, wenn man zugleich eine lebhafte De­mokratie haben will. Entweder existiert diese, weil sie mit Leben gefüllt wird, oder sie steht schon längst zur Disposition. Dass der demokratische Prozess zunehmend oligarchisiert ist, mit einem verkrusteten Parteienap­parat und einer De-facto-Elite an der Macht, konnte man schon 1966 bei dem Philosophen Karl Jaspers lesen, in seiner Streitschrift „Wohin treibt die Bundesrepublik?“. Das Buch wurde zum viel diskutierten Bestseller. Im besten Deutschland aller Zeiten sind solche Ideen allenfalls nicht satisfaktionsfähige Querdenkerliteratur.

Kein Prozess der Selbsterkenntnis, weder gesellschaftlich noch spirituell, medial oder wissenschaftlich, ist in Deutschland gerade sichtbar. (...)

Bewusste Blindheit und Kollektivscham haben uns erneut in eine Schweigespirale geführt. Die große gesell­schaftliche Aufgabe Deutschlands ist immer noch die Vollendung der alten: sich dem Unsagbaren stellen, im­mer wieder. Ein ganzes Land muss offenbar immer wieder in die Reinkamationsschleife der Geschichte. Gera­de häufen wir ein Tabu auf das nächste. Mit jedem Thema kommt, so scheint es, ein weiterer Ziegelstein in der Mauer hinzu, mit welchem wir uns die Sicht nach außen versperren lassen. Jedes Tabu und jede Denkhemmung sind machtpolitische Unterdrückungsinstrumente. (...)

Alte Lügen schaffen nichts Neues außer neue Lügen. Schon Hannah Arendt (https://www.berliner-zeitung.de/ topics/hannah-arendt) schrieb über die zersetzende Kraft der Lüge: „Dieses ständige Lügen zielt nicht darauf ab, dass die Menschen eine Lüge glauben, sondern darauf, dass niemand mehr etwas glaubt. Ein Volk, das nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann, kann auch nicht zwischen richtig und falsch unterschei­den. Und ein solches Volk der Denk- und Urteilskraft beraubt, ist, ohne es zu wissen und zu wollen, völlig der Herrschaft der Lüge unterworfen. Mit einem solchen Volk kann man machen, was man will.“

Die Lebenslügen eines Gemeinwesens sind seine Sollbruchstellen. Wann gehen wir unsere an? Oder warten wir, bis es bricht?

 


 

Woke Sprachverbote, Teil II: Mohr und mehr
Prof. Dr. em. Hans-Jürgen Bandelt, Thomas Immanuel Steinberg & Heidi Zieger
Wir zitieren daraus den Abschnitt mit der Überschrift: 

M

Der Film ‚M‘ von Fritz Lang aus dem Jahre 1931 ist nicht gemeint, sondern das M-Wort ‚Mohr‘, wo auf Wikipedia glatt behauptet wird, dass die Bezeichnung ‚Mohr‘ heute als “rassistisch diskriminierender Ausdruck” verstanden wird. Also – bei uns drei Autoren nicht. “Wer […] gar bei der Basler Guggenmusik Mohrekopf mitspielt oder zur Berner Mohrenzunft gehört, steht so lange unter Rassismusverdacht, bis er bereut und sich von diesem Wort distanziert.” Natürlich ist in Wirklichkeit ‚der Mohr‘ ein historischer Begriff, der sich zunächst nur auf die Mauren und Nordafrikaner bezog und später volkstümlich überhaupt auf Afrikaner übertragen wurde.

Wo der ‚Neger‘ schon Schockstarre auslöst, tut der ‚Mohr‘ bei Wehleidigen das gleiche. Und in der Tat wurde in der Hauptstadt des Wokismus die Mohrenstraße auf Initiative der woken Parteien (SPD, Grüne, Linkspartei) tatsächlich umbenannt. Dieses Ansinnen ist typisch für den dümmlichen Ahistorismus der Woken – nicht nur in Berlin. “Der Ahistorismus begreift die Geschichte einzig aus Sicht der Gegenwart und ihrer Ideen.” Dabei ist im woken Falle nur das Gefühl und nicht das irgendwie Begreifen relevant, wobei die moralische Bewertung des Vergangenen aufgrund des eigenen oder gruppenspezifischen Gefühls erfolgt.

Es gibt ein Restaurant in Kiel mit Namen ‚Zum Mohrenkopf‘, das bereits vielfach bedrängt wurde, sich doch umzubennen. Der Besitzer Andrew Onuegbu, selber ziemlich dunkler Hautfarbe, denkt nicht daran: “Ich bin als Mohr auf die Welt gekommen und stolz darauf. […] Der Mohrenkopf war im Mittelalter eine Auszeichnung für gutes Essen”, sagt Onuegbu. “Ich brauche keine Weißen, die mir sagen, wann meine Gefühle verletzt sind”, so der Mann in der ARD-Sendung ‚Hart aber Fair‚. Es gibt eine Reihe von Restaurants in Deutschland und Österreich, die ebenso den Mohren stolz im Namen tragen, so wie etwa das Kultlokal “Mohrenwirt” in Graz.

Es gibt sogar Speisen, in deren Namen das Wort Mohr vorkommt. Eine beliebte Süßspeise in Österreich (und auch in Bayern) ist der “Mohr im Hemd”, in der Form eines kleinen Gugelhupfs mit warmer Schokosoße übergossen und mit Schlagobers oben drauf oder seitlich dran. Hier ist das Rezept aus dem Stadtmagazin graz.net. Trotz Bedrängnis gibt es ihn also noch im Hemd. Bei woken universitären Kämpfern soll angeblich die Befürwortung des Begriffes als Beispiel für “Alltagsrassismus von Weißen Menschen” gelten, wobei dieser Vorwurf selbst einen rassistischen Ton gegen Weiße in sich trägt.

Kein Mensch – gleich welcher Hautfarbe – braucht betreutes Fühlen.

Der Mohr sollte gemäß einer Petentin an den Bayerischen Landtag sogar aus dem Wappen des Landkreises Freising verschwinden; diese Geschichtstilgung hat aber nicht im Ansatz geklappt. Seit über 700 Jahren sind der ‚Freisinger Mohr‘ oder das ‚caput Ethiopum‘ das Wappenzeichen für viele Orte und kirchliche Bereiche im Freisinger und europäischen Raum laut Vorsitzendem des Historischen Vereins Freising.

Die Mohrenapotheken in vielen Städten stehen unter doppelten Druck: erstens nimmt das Apothekensterben zu durch Morbus Lauterbach und zweitens wird der Mohrenname beshitstormt. Die Mohrenapotheke in der Nürnberger Altstadt musste nach 582 Jahren zum 30. Juni schließen: Die klassische Kundschaft wurde immer weniger, so dass die Apotheke wirtschaftlich nicht mehr tragbar war; hinzu kamen die allgemein schwierigen Rahmenbedingungen, die Apotheken in ganz Deutschland betreffen. Im ersten Halbjahr des Jahres 2024 gab es in Deutschland 307 Apothekenschließungen. Die Regensburger Mohren-Apotheke traf es nach 499 Jahren schon 2016.

In Wien gibt es noch immer eine Apotheke dieses Namens, die seit Mitte des 14. Jahrhundert besteht. Der Name variierte mit der Zeit leicht, z.B. “Zum schwarzen Mohren”. Vor über vier Jahren orteten da woke Aktivisten Diskriminierung: Per Online-Petition sollte die Betreiberin der Mohren-Apotheke in Wien zu einer Namensänderung bewegt werden. Sie ließ sich nicht bewegen, verwies an den positiven Hintergrund will die Erinnerung an die Pioniere von damals aufrecht erhalten.

Viele Apotheken im deutschsprachigen Raum widerstanden den Anfeindungen, aber einige knickten doch ein und haben sich folgsam umbenannt. Dabei stand eine solche Nennung selbst laut Wikipedia “seit der Antike stellvertretend für den gesamten Afrikanischen Kontinent bzw. für im Europa der damaligen Zeit unbekanntes (Heil-)Wissen und aus der Ferne importierte (pharmazeutische) Produkte.” Nichts war daran jemals diskriminierend – im Gegenteil. Die Diskriminierung gibt es nur in den Köpfen der woken Neusprechler.

Es gibt übrigens in Thüringen die Mohrenstadt Eisenberg (in der wir, HJB & HZ, in diesem Jahr kurz weilten), die mit Bezug auf eine Legende alljährlich ein Mohrenfestival durchführt. Viele Eisenberger sind stolz darauf.

Die Geschichte von den schwarzen Buben aus dem erzieherischen Kinderbuch ‚Der Struwwelpeter‘ von 1845 hat einen Mohr als Hauptfigur, der von drei Buben geneckt wird. Der Nikolaus bestraft die drei, indem er sie in schwarze Tinte taucht: “Was kann denn dieser Mohr dafür, dass er so weiß nicht ist wie ihr?”. Nichts ist auch nur einen Deut rassistisch an dieser schönen Geschichte für Kinder.

 


 

Gert Ewen Ungar: Wahlnachlese: Die Delegitimierung der Demokratie durch selbsterklärte Demokraten

Demokratie ist, wenn man verhindern will, dass der Wahlsieger die Regierung bildet. Am Wahlabend haben sich weder die etablierten Parteien noch die Medien mit demokratischem Ruhm bekleckert. Sie agieren tief antidemokratisch, denn sie ignorieren den Wunsch der Wähler nach einem Politikwechsel.

Björn Höcke ist ein Nazi und Sahra Wagenknecht so links, dass sie ganz rechts wieder rauskommt, ist die von den etablierten Parteien und den an sie angeschlossenen deutschen Medien veröffentlichte Meinung. Höcke ist sowas wie der zeitgenössische Hitler, Wagenknecht wurde bereits mit Stalin verglichen. Die Parteien, für die Wagenknecht und Höcke stehen, sind daher eine Gefahr für die Demokratie und müssen verhindert werden. 

Zum Glück ist die deutsche Demokratie wehrhaft und weiß sich gegen den Versuch zu wehren, sie auszuhebeln. Man grenzt die Gefahr für die Demokratie einfach aus, ist die Methode. Die Medien warnen und werden nicht müde, den Teufel an die Wand zu malen. Im ZDF vergleicht Chefredakteurin Bettina Schausten den Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen am 1. September 1939 mit dem 1. September 2024, an dem zwei Landtagswahlen stattfanden, bei denen vor allem die Ampel-Parteien niederschmetternde Ergebnis eingefahren haben. Eine Nummer kleiner geht’s beim ZDF derzeit anscheinend nicht. 

Dem Landeswahlleiter in Sachsen fiel zum Glück für die Demokratie im letzten Moment ein Softwarefehler auf, der dafür gesorgt hatte, dass der AfD ein Sitz viel zugerechnet worden war. Dieser Fehler wurde korrigiert, die AfD verliert ihre Sperrminorität. Die so geschützte Demokratie, verstanden als populistische Floskel, wird es dem Landeswahlleiter wohl auf ewig danken. Ob es auch die Wähler tun, steht auf einem anderen Blatt, denn glaubwürdig ist der Vorgang nicht. Der Vorfall dürfte zumindest kurzfristig das Vertrauen in das Funktionieren der deutschen Demokratie erheblich mehr erschüttert haben als das Abschneiden von BSW und AfD. 

Was nach der Wahl des EU-Parlaments im Juni passiert ist, wiederholt sich nun auf Landesebene. Die Parteien, die massiv eingebrochen sind, weil sie das Vertrauen der Wähler ebenso massiv verloren haben, wollen einfach so weitermachen, als sei nichts geschehen. Der Plan ist, die Demokratie durch ein bedingungsloses Weiter-So vor dem Einfluss der Wähler auf die Politik zu schützen. George Orwell hätte sich nicht besser ausdenken können, was gestern am Wahlabend zum Wahlergebnis gesagt wurde. Es mag den Protagonisten in ihrer Raserei nicht auffallen, aber das ist das Gegenteil von Demokratie.

Wenn Politik vom Wähler in einer Weise goutiert wird, dass die für diese Politik verantwortlichen Parteien in der Wählergunst einbrechen, dann ist das ein demokratischer Akt. Eine andere Möglichkeit, eine Änderung von Politik herbeizuführen, haben Wähler in einer parlamentarischen Demokratie faktisch nicht. Wenn die so abgestraften Parteien dann aber nach Wegen suchen, den eingeschlagenen Weg einfach fortzusetzen, dann ist das Verhöhnung von Demokratie und der Wähler. Das ist bei der Wahl zum Europaparlament passiert, und soll nun offensichtlich in Thüringen und Sachsen wiederholt werden. 

Es wird der Popanz einer rechten Bedrohung aufgebaut. Die AfD gilt dem Verfassungsschutz zumindest in Teilen als “gesichert rechtsextrem”, weshalb sie überwacht wird. Björn Höcke hat öffentlich “alles für Deutschland” gesagt und wurde dafür bestraft. Höcke verwendet Phrasen, aus denen sich eine Nähe zum Nationalsozialismus herleiten lässt. Das macht ihn in den Augen seiner politischen Gegner zum Faschisten. Mehr Belege gibt es offenbar nicht.

Der von der Rechercheplattform Correctiv vermeintlich aufgedeckte Remigrationsplan der AfD war von Correctiv weitgehend frei erfunden. Die AfD gilt als rechtsextrem und manchen auch als faschistisch, aber echte Belege dafür gibt es nicht, denn sonst würde man sie anführen. Das ist der aktuelle Stand der Diskussion. Anzufügen ist, dass die Verschwörungserzählungen aktuell von den Regierungsparteien verbreitet werden: Russland wolle Deutschland überfallen, weshalb man es zuvor militärisch besiegen müsse. Russische Spione wittern Habeck und Kiesewetter hinter jeder Ecke, Habeck selbst unter den eigenen Mitarbeitern. Von derartiger Paranoia ist die AfD weit entfernt. 

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