Lesefrüchte

Januar 2025

 

Hier sammeln wir Artikel, die auch über den Tag hinaus interessant sind und zitieren Auszüge. Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, verschieben wir ältere Empfehlungen ins „Archiv“.

 


Lesefrüchte im vergangenen Monat
Tom J.Wellbrock: Das verdrehte Koordinatensystem
György Varga:
Schwierigkeiten mit der Wahrheit: Die „verschluckte Drahtbürste“ ...
Bernhard Meyer: Überlegungen zur Meinungsfreiheit — Orientierung — Begriffe

X-Post by Philip Giraldi
zum Tod von Jimmi Carter
Free21: Die amerikanische Außenpolitik


 

Tom J.Wellbrock: Das verdrehte Koordinatensystem

(...)
Rainer Mausfelds Links-Definition
Bei der Frage, was linkes Denken ausmacht, ist es sinnlos, sich auf die Oberflächlichkeiten minderbemittelter Politiker zu verlassen, man landet nur in leeren Worthülsen zu Propagandazwecken. Seriöser sind die Ausführungen Rainer Mausfelds, der in einem Interview mit den NachDenkSeiten sagte:

“Links steht vielmehr für die normativen moralischen und politischen Leitvorstellungen, die über den Menschen und über die Möglichkeiten seiner gesellschaftlichen Organisation in einem langen und mühsamen historischen Prozess gewonnen wurden und die in der Aufklärung besonders prägnant formuliert wurden. Den Kern dieser Leitvorstellungen bildet ein universeller Humanismus, also die Anerkennung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen.”  

Schon an diesem Punkt wird klar, dass die derzeitige deutsche Regierungspolitik nicht links ist, denn die “Anerkennung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen” wird zwar nach außen laut und deutlich kommuniziert. Doch die Praxis beweist das Gegenteil, wir erleben die machtvolle Gewalt der Meinungsdiktatur einer Minderheit, unter der die Mehrheit ideologisch und wirtschaftlich zu leiden hat.   

Auch der folgende Absatz Mausfelds betrifft die Regierungsparteien, wenngleich diese ihn gern nutzen, um sich als schützende Instanz zu inszenieren:   

“Bereits aus dieser Leitvorstellung ergeben sich schwerwiegende und weitreichende Folgerungen. Beispielsweise schließt ein universeller Humanismus Positionen aus, die auf der Überzeugung einer prinzipiellen Vorrangstellung der eigenen biologischen, sozialen, kulturellen, religiösen oder nationalen Gruppe beruhen; er schließt also Rassismus, Chauvinismus, Nationalismus oder Exzeptionalismus aus. Zudem beinhaltet er, dass alle Machtstrukturen ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen haben, sonst sind sie illegitim und somit zu beseitigen.“  

In der deutschen Politiklandschaft hat sich eine perfide Erzählung den Weg gebahnt, nach der das Ansprechen von Problemen mit Migranten als Rassismus und Rechtsextremismus definiert wird. Damit werden die eigenen Verfehlungen in der Migrationspolitik faktisch als legitim dargestellt. Man dürfte, so die edle Argumentation, zwar auf Probleme und Fehler der Politik hinweisen. Doch die geeignete Form, dies zu tun, ist offenbar noch nicht gefunden worden, denn wer sich kritisch äußert, ist nur Momente später ein rechtsextremistischer Rassist.   

Diese plumpe und dümmliche Form der Diffamierung kritischer Köpfe erzeugt nicht nur ein gefährlich einseitiges und (vor)verurteilendes Klima in der Debattenkultur, sie dominiert außerdem die gesellschaftliche Stimmung im Land so sehr, dass der eigene politische Chauvinismus und Exzeptionalismus in den Hintergrund gerückt wird. Insbesondere der deutsche Exzeptionalismus hat speziell unter grüner Beteiligung gravierende Ausmaße angenommen. Ob beim Klimaschutz, dem Umgang mit der breiten Palette der LGBTQ-Ideologie oder der sogenannten “westlichen Werte” (wahlweise auch “regelbasierte Werte”), deutsche Politiker nehmen für sich eine global dominierende Rolle ein und mischen bei jedem Versuch des Regime Changes in allen Ländern mit, die sich dem nicht zu erwehren wissen.   

Das derzeit extremste Beispiel ist der Umgang mit der Ukraine. Von der ignorierten und ausradierten Vorgeschichte abgesehen, die man braucht, um die Entwicklung zum Krieg hin geopolitisch zu bewerten, fällt die skrupellose Ignoranz gegenüber der deutschen (und letztlich auch ukrainischen und russischen) Bevölkerung auf, die hier an den Tag gelegt wird. Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin, hat in ihrer unprofessionellen und intellektuell begrenzten Art deutlich gemacht, was sie von den Ängsten und Wünschen der Deutschen hält, wenn es um diesen Krieg geht. Es sei ihr egal, was ihre deutschen Wähler denken, hatte sie in der Anfangsphase des Ukraine-Krieges gesagt, die Ukraine werde weiter unterstützt. Kinder und Betrunkene, so heißt es, sagen die Wahrheit, und bei Baerbock muss man sich lediglich fragen, welcher Gruppe man sie zuordnen will. In jedem Fall sagte sie damals tatsächlich die Wahrheit, die Wahrheit einer Elitenkriegerin.   

Rainer Mausfeld folgend dürfte eine solche Praxis überhaupt nicht sein, zumindest dann nicht, wenn die herrschende Politik wirklich links wäre. Denn die in Deutschland Mächtigen weisen ihre Existenzberechtigung weder nach noch rechtfertigen sie sich dafür, im Gegenteil, sie praktizieren eine Politik, die die Bevölkerung vollständig ausklammert, mehr noch: sie gefährdet und ihre wirtschaftliche Lage kontinuierlich verschlechtert. Womit wir zum nächsten Zitat Rainer Mausfelds kommen:   

“Aus dem universellen Humanismus ergibt sich also das spezifische Leitideal einer radikal-demokratischen Form einer Gesellschaft, in der ein jeder einen angemessenen Anteil an allen Entscheidungen hat, die die eigene ökonomische und gesellschaftliche Situation betreffen; er schließt also Gesellschaftsformen aus, die auf einer Elitenherrschaft oder auf einem Führerprinzip beruhen.”   

Eindeutiger kann man das fehlende linke Verständnis deutscher Politik nicht benennen. In der deutschen Regierungslinie gibt es keinerlei Anteil an den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, die Mächtigen in Berlin sind eine zu Fleisch gewordene Elitenherrschaft, die die Bevölkerung sehenden Auges in die Katastrophe treibt.    

Rechts oder links: Ist doch egal, hat sich überlebt!
Im NachDenkSeiten-Interview äußert sich Mausfeld auch zu der These, die Einordnung in “rechts” und “links” habe sich überholt, sie sei nicht mehr zeitgemäß. Diese Vorstellung ist weit verbreitet, und in Anbetracht der Schwierigkeiten, im Alltag eine klare Unterscheidung dieser beiden politischen Richtungen vorzunehmen, ist es bequem und praktisch, auf solche Titulierungen zu verzichten. Dazu Mausfeld:  

“Da diese Leitideale gewaltige politische Konsequenzen haben, wurden sie seit je auf das schärfste bekämpft; historisch war das der Kern der sogenannten Gegenaufklärung, der es wesentlich um die Wahrung des jeweiligen Status quo ging. Die Behauptung, eine Links-Rechts-Unterscheidung hätte sich historisch überlebt, würde also letztlich beinhalten, dass sich die Leitideen einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen und einer ernsthaften demokratischen Gesellschaftsorganisation überholt hätten – eine These, die natürlich gerne von denen vertreten wird, deren Macht gerade auf rassistischen, chauvinistischen, nationalistischen oder exzeptionalistischen Ideologien basiert.”  

Das öffentliche Verwischen einer Links-Rechts-Unterscheidung und die von allen möglichen Seiten zugerufene Aufforderung, auf sie zu verzichten, kommt auf der einen Seite von denen, die Rassismus, Chauvinismus und woken Nationalismus propagieren und praktizieren, also den Herrschenden. Sie kommt aber auch von überforderten Bürgern, die die Orientierung verloren haben, nicht selten auch das Interesse an politischen und gesellschaftlichen Aspekten.   

Und es kommt etwas hinzu: Die bewusst erzeugte Orientierungslosigkeit auf der einen und die Vorgabe simpler und oberflächlicher Positionen auf der anderen Seite erzeugen Gefühle der Unsicherheit und der Angst. Dies, gepaart mit dem Druck, der auf allen lastet, die fürchten müssen, das Falsche zu sagen und dafür belangt zu werden, lässt nicht nur die angeblich linke Politik im Nebel der Ressentiments verschwinden, sondern erweist sich als eine Gesellschaftsform, die nicht einmal mehr als Demokratie bezeichnet werden kann.   

Die Frage muss also letztlich nicht lauten, wer für rechte oder linke Politik steht, sondern wer für den Erhalt der Demokratie kämpft.  (Hervorhebung bm)

 


 

György Varga: Schwierigkeiten mit der Wahrheit: Die „verschluckte Drahtbürste“ der NATO
Die Aussage des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Interview mit dem US-Podcaster Lex Fridman am 5. Januar hat mich zu diesem Thema inspiriert: „Jeder, der die Ukraine gezwungen hat, das sogenannte Budapester Memorandum zu unterzeichnen, gehört ins Gefängnis.“ Am 5. Dezember 1994 war ich bei der Unterzeichnung des Memorandums über die nukleare Abrüstung in der Ukraine anwesend. Da ich mich seit Jahrzehnten mit den Prozessen im postsowjetischen Raum beschäftige und mein sicherheitspolitisches Wissen nicht an einer Theaterhochschule erworben habe, halte ich es nicht für fair, den Krieg in der Ukraine vor drei Jahren denen in die Schuhe zu schieben, die damals überhaupt etwas getan haben, um Europa sicherer zu machen, um die Welt zu einer atomwaffenfreien Welt zu machen. Die Verbindung zwischen dem Budapester Memorandum, dem Krieg und der Frage nach der Verantwortung ist sehr offensichtlich, wenn wir das Thema unter dem Aspekt der Fakten und nicht der „Bekämpfung der russischen Desinformation“ betrachten. György VargaEin Kommentar von Botschafter a. D. György Varga, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.)

Warum habe ich meinem Artikel den oben genannten Titel gegeben?
Der Krieg in der Ukraine hat die wissenschaftlich-theoretischen Zusammenhänge und Prinzipien, die einem Arzt, Ingenieur, Historiker, Politikwissenschaftler, der gerade sein Doktorat begonnen hat, in den ersten Wochen des Doktoratsstudiums beigebracht werden, nur noch verstärkt: Es gibt exakte und nicht exakte Wissenschaften. Grob gesagt sind die exakten Wissenschaften die Naturwissenschaften wie Physik, Mathematik und allgemein die Wissenschaften, die auf beweisbaren Thesen beruhen. Zu den nicht exakten Wissenschaften gehören die Sozialwissenschaften, in denen die subjektive Bewertung, die selektive Erfassung und die Berücksichtigung von Zusammenhängen eine sehr wichtige Rolle spielen. Diese subjektive und sehr selektive Erfassung von Fakten und Zusammenhängen können wir bei der internationalen Bewältigung des Ukraine-Konflikts ab 2014 und des Krieges ab 2022 beobachten.

Stellen Sie sich vor, ein Mann wird ins Krankenhaus gebracht, weil er große Schmerzen hat. Die Behandlung wird eingeleitet, Medikamente werden verabreicht, aber die Angehörigen verschweigen das eigentliche Problem: die Person hat eine kleine Drahtbürste verschluckt. Sie tun es aus moralischem Selbstschutz, da es solche Idioten in ihrer Familie nicht geben kann.

Ich denke, es ist klar: Solange die Ärzte nicht mit den Instrumenten der exakten Wissenschaften zur Erkenntnis der Grundsituation kommen, hat der Patient keine Chance auf Überleben oder Genesung, während er selbst und seine Angehörigen aus moralischen Gründen die Grundsituation nicht beleuchten wollen. Wir sehen diese Situation heute in der Ukraine, wo die Wurzeln des Problems schon seit vielen Jahren nicht behandelt werden.
Was ist das Grundproblem der Ukraine?

Es ist einfach so, dass die NATO im Jahr 2008 die staatliche Souveränität und die immerwährende Neutralität der Ukraine verletzt hat. Jeder falsche Schachzug, der seitdem gemacht wurde, basiert auf diesem strategischen Fehler. Die NATO ist „ein kranker Mann“ (er hat eine Drahtbürste verschluckt), der die Europäische Union mit sich in den Abgrund reißt; sie führt einen Krieg um die Ukraine in mehreren Dimensionen, indem sie jeden Monat in Ramstein (Deutschland) neue „Behandlungen“ beschließt, sich aber weigert, sich der grundlegenden Situation zu stellen.

Natürlich erfordert es ein verantwortungsbewusstes Urteilsvermögen, solche Behauptungen niederzuschreiben. Denn die gesamte NATO-Kommunikationsmaschinerie sowie Hunderte von Forschungsinstituten und Zehntausende von Journalisten aus 32 NATO-Mitgliedstaaten arbeiten daran, dass niemand zu Schlussfolgerungen kommt, die dem vom kollektiven Westen seit Jahren erzählten Narrativ „Russlands unprovozierte Aggression gegen die Ukraine“ nicht nur widersprechen, sondern es auch im Kern widerlegen.

Der ukrainische Präsident hält die Unterzeichnung des Budapester Memorandums für einen Fehler und nimmt eine ähnliche Haltung gegenüber der Unterzeichnung der Minsker Vereinbarungen ein, deren Umsetzung er während seiner Präsidentschaft ab 2019 ignoriert und dann offen abgelehnt hat, obwohl der UN-Sicherheitsrat dies – die friedliche Wiedereingliederung der Separatistengebiete – im Jahr 2015 einstimmig beschlossen hatte.

Mit anderen Worten: Die Ukraine kämpft heute mit Unterstützung der NATO-Länder um die Rücknahme von Gebieten, deren friedliche Wiedereingliederung sie im Zeitraum von 2014 bis 2022 abgelehnt hat. Damit hielt Kiew Zustände für Millionen seiner ethnisch russischen Bürger aufrecht, die Russland als Mutterland nicht länger dulden wollte. (Wir kennen solche Beispiele: Die NATO drückte auch ihre Unzufriedenheit mit dem Schicksal der Kosovo-Albaner in Serbien aus, indem sie das Land 1999 ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats bombardierte).

Welche Argumente sprechen für die Verletzung der Souveränität und Neutralität der Ukraine durch die NATO 2008?  Schauen wir uns die konkrete, nachweisbare Vorgeschichte des Ukraine-Krieges an, die mit den Mitteln der (nicht exakten) Sozialwissenschaften untersucht werden.
1. (...)   

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Bernhard Meyer: Überlegungen zur Meinungsfreiheit — Orientierung — Begriffe

Wenn man den Andersdenkenden zum Beelzebub stilisiert, ist es schwierig, mit ihm demokratische Grundsätze z.B. Meinungsfreiheit, Gleichbehandlung usw. zu praktizieren. 

Die Hysterie über das geplante Weidel-Musk-Gespräch macht dies überdeutlich. Einmischung in deutsche Wahlen lautet der Vorwurf. Um den Doppelstandard zu erkennen, muss man sich nur vor Augen halten, welche Einmischungen in Wahlen von deutschen Politikern z.B. in Georgien oder in der Ukraine ohne großes Medienecho stattgefunden haben oder Einmischungen von ausländischen Milliardären, wie Soros und Gates, in deutsche Wahlen. Soros und Gates gehören eben zu „den Guten“. Musk dagegen (seit er sich mit Trump, dem Ungeheuer, verbunden hat) und Weidel sind das Böse schlechthin und für die gelten demokratische Gepflogenheiten eben nicht. So einfach ist das, wenn das Gut-Böse-Denken blendet. Da spielt es auch keine Rolle mehr, wenn eine nennenswerte Anzahl von Wählern zum Ausdruck bringt, dass die Politik der angeblich Guten gegen ihre Interessen gerichtet ist und die deswegen eine andere Politik als bisher haben wollen. 

Um ihre Doppelmoral zu verschleiern, unterstellen die Etrablierten den sogenannten Bösen, sie würden gegen das Grundgesetz handeln und die Demokratie abschaffen. Die angeblich Guten belegen ihre Behauptung nicht, sondern wiederholen sie bis zum Erbrechen. Und um die „Machtergreifung“ der Bösen zu verhindern sei es richtig, die Demokratie solange abzuschaffen, bis die Bürger wieder die angeblich Guten wählen. Steinmeiers Drohung an das Wahlvolk zielt ziemlich klar in diese Richtung. („Frank-Walter Steinmeier droht bei Neuwahlen mit rumänischer Lösung“)

Ein weiterer Trick ist, zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“ oder „rechtsradikal“ nicht mehr zu unterscheiden. Wer den angeblich Guten in irgendeiner Frage widerspricht, gilt heute schnell als 
„rechts...radikal“.

Ein Kompass gibt die Richtung an: Norden, Osten, Süden, Westen. Traditionelle Richtungszeiger in der Politik sind analog zum Gegensatzpaar „Arbeit“ und „Kapital“ die Begriffe „links“ und „rechts“:

Links ist 
Politik für die einfachen Leute, also Gemeinbesitz von Einrichtungen der öffentlichen Versorgung: Krankenhäuser, Wasser- und Energieversorgung, Wohnungsbau, Infrastruktur ...
Politik für Frieden und gegen Krieg („Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein.“ (Willy Brandt) 
Schutz der Freiheitsrechte 

Rechts ist
Politik für Reiche, also Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen, Schlupflöcher für Steuern, die Reichen werden reicher, die Armen ärmer ...
aggressive Außenpolitik, Einmischung in andere Länder, Waffen in Krisengebiete, „das Land kriegstüchtig machen“ ...
Einschränkung von Freiheiten, Zwang, Zensur, Übergriffe ...
Feindbildpflege, Ausgrenzung, Doppelmoral ...

Die Listen können ergänzt werden, sie genügen aber um zu zeigen, wer heute wirklich rechte Politik betreibt oder anstrebt. Außerdem kann man erkennen, dass es meist wenig zielführend ist, einer ganzen Partei so ein Etikett zu verpassen. Sinnvoll ist eher, zu prüfen, in welchen Themenbereichen die Politik oder einzelne Programmpunkte einer Partei eher links oder rechts einzuordnen ist. Und da es innerhalb einer Partei auch ein gewisses Spektrum gibt, kann man auch fragen, wo steht Mützenich, wo steht Pistorius?

Man kann auch erkennen, dass man die beiden Etiketten nicht beliebig verteilen kann, wenn man über ihren Inhalt nur eine nebelhafte Vorstellung hat. Insbesondere ist es ärgerlich, wenn konservative Medienmacher, wie Roger Köppel, Boris Reitschuster oder Roland Tichy von ihrem eher rechts von der Mitte liegenden Standort die Ampel-Parteien als „links“ bezeichnen. Es ist absurd, wenn dann eine Partei wie die Grünen, die fast alle Merkmale der rechten Liste auf sich vereinen, wenn diese eigentlich extrem weit rechts stehende Partei „links“ eingeordnet wird. 

Erinnert sei hier an Klaus Hartmann, der über das politische Spektrum sinngemäß schreibt: Die AfD ist sicher eine rechte Partei. Die SPD steht, gemessen an ihrer Politik rechts von der AfD. (...) Am äußerst rechten Rand befinden sich die Grünen.

Andrea Drescher  zeigt in ihrem Video-Ausschnitt einer Sendung mit Röper und Stein  deutlich, wie Robert Stein „Sozialismus“ den Grünen zuordnet und sofort von Röper korrigiert wird. Man kann beobachten, wie Stein orientierungslos herum eiert „Aber ich habe doch gelesen …“. So ist es, wenn man sich ohne Kompass auf Treibsand begibt, dann glaubt man schnell, was andere sagen und was man schon mal so gehört hat. Es lohnt sich anzuhören, wie Röper sofort klare Orientierung geben kann.

Und wo ist der Begriff „konservativ“ einzuordnen?

Meistens assoziieren wir den Begriff mit „rechts“. Aber konservativ heißt zunächst nur „bewahren“. Ein Konservativer beansprucht „das Gute zu bewahren“. Und wer „konservativ“ als Vorwurf benutzt, meint der Konservative verharre im Hergebrachten und wehre sich gegen Neues. Der positiv besetzte Gegenbegriff dazu ist „progressiv“ oder „fortschrittlich“. Konservative und Progressive kommen in allen Parteien vor. Die Begriffe bezeichnen aber keine Inhalte im Spannungsfeld zwischen Armen und Reichen. 

Beispiel: Privatisierung von Krankenhäusern findet ein FDP-Mitglied wahrscheinlich „fortschrittlich“, wer aber „Gemeingut in Bürgerhand“ auf seine Fahne geschrieben hat, sieht das als „Rückschritt“ an.

Beharrungsvermögen an Hergebrachtem, das man als positiv erlebt hat, ist sicher sinnvoll, ebenso das Bestreben, Dinge zu erneuern, die sich als nachteilig erwiesen haben. Das aus den Linken hervorgegangene BSW möchte z.B. an der hergebrachten Politik für kleine Leute festhalten, das Bargeld bewahren und wehrt sich gegen die woke Ideologie. Das sind alles konservative Züge und sie entsprechen den Interessen der meisten kleinen Leute; also sind sie links und nicht rechts. Die Gegner nennen es abwertend „populistisch“. Mit dem Begriff machen sie pauschal schlecht, was kleine Leute wünschen.

Auf der anderen Seite finden viele Leute, dass es progressiv ist und vor allem human, möglichst viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen zu lassen und sie bei uns aufzunehmen. Wer hierbei die Stirn runzelt und darauf hinweist, dass dadurch unser Sozialstaat zu sehr belastet werden könnte, wird als „rechts“ beschimpft. So ist es Sahra Wagenknecht ergangen, als sie darauf hinwies, dass die Neuankömmlinge am Arbeits- und am Wohnungsmarkt mit den ärmeren Leuten konkurrieren und dass daher eine unbegrenzte Einwanderung nicht in deren Interesse ist. Wagenknechts Hinweis ist „konservativ“ und „links“. 


X-Post von Philip Giraldi zum Tod von Jimmi Carter
I personally had my five minutes face-to-face with Jimmy Carter while he was still president and he, to my mind, demonstrated to me what kind of man he truly was. I was part of the CIA station in a European country ...

Deepl-Übersetzung des ganzen Textes:

Ich hatte meine persönlichen fünf Minuten mit Jimmy Carter, als er noch Präsident war, und er hat mir meiner Meinung nach gezeigt, was für ein Mann er wirklich war. Ich gehörte zu einer CIA-Station in einem europäischen Land, und eine meiner ersten Aufgaben bestand darin, eine umfangreiche Finanzierungsoperation, eine so genannte verdeckte Aktion, vorzubereiten, um eine Regierung in einem anderen Teil der Welt zu unterwandern und zu stürzen, die von der Agentur und dem US-Außenministerium nicht gebilligt wurde. Meine Aufgabe bestand darin, eine der politischen Parteien in dem Land, in dem ich tätig war, davon zu überzeugen, ihre freundschaftlichen Beziehungen zu einem anderen Land in der Nähe des Ziellandes zu nutzen, um heimlich eine geheime Basis für eine Guerillabewegung einzurichten, die sich mit der Unterwanderung des Nachbarlandes befassen würde. Es sollte ein doppelter Ausweg geschaffen werden, der als Kanal für die Finanzierung und Bewaffnung der Rebellen durch zwei ausländische politische Parteien dienen sollte, wobei die Rolle der USA bei dem beabsichtigten Regimewechsel verschleiert werden sollte, wie es sich für eine „verdeckte Aktion“ gehört.

Nach vielen stillen Treffen mit den örtlichen Politikern, die mit erheblicher Bestechung und Geheimhaltungsversprechen verbunden waren, wurde eine Vereinbarung getroffen, aber eine Woche später kam ein hochrangiger CIA-Offizier aus Washington in die Botschaft, um mir und dem Leiter der Station mitzuteilen, dass der Deal vom Tisch sei. Er nannte keine Gründe für seinen Sinneswandel, aber wir waren enttäuscht, denn es war eine Menge Arbeit gewesen, und aus der Sicht dessen, was die politischen Entscheidungsträger von uns verlangt hatten, war es offenbar erfolgreich. Die europäische Partnerpartei, die im Mittelpunkt des Plans stand und sich große Vorteile davon versprach, wurde von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt und brachte ihren Ärger unmissverständlich zum Ausdruck, indem sie den Kontakt zu mir und der Station abbrach.

Zufälligerweise besuchte Präsident Jimmy Carter zwei Monate später dieselbe europäische Hauptstadt und schaute in der US-Botschaft vorbei. Zu meinem Erstaunen bat er darum, mich unter vier Augen im Büro des Botschafters zu sprechen, entschuldigte sich und erklärte, dass die Änderung der Pläne durch die Erkenntnis verursacht worden sei, dass die USA Aufständische bewaffnen und bezahlen würden, die zweifellos eine beträchtliche Zahl von Zivilisten töten würden. Er erklärte, dass dies ein zu hoher Preis sei und die schmutzige Vereinbarung angesichts der bevorstehenden Wahlen sogar an die Medien durchsickern könnte. Ich dankte ihm für die Hintergrundinformationen und wir trennten uns. Seine Sprache und sein Auftreten vermittelten mir den Eindruck, dass er und nicht irgendein machtbesessener Bürokrat der CIA oder des Außenministeriums persönlich die Entscheidung getroffen hatte, die Operation abzubrechen, zumindest teilweise aufgrund seiner eigenen moralischen Bedenken.

Als ich über meine Begegnung mit Jimmy Carter im Zusammenhang mit seinem Tod nachdachte, ja mehr noch über sein Leben und seine grundlegende Anständigkeit, dachte ich darüber nach, wie es wohl wäre, wenn wir Amerikaner wieder jemanden wie ihn in der Regierung hätten.

 


 

Ein kurzer Ausschnitt aus: 

Diskussion mit John Mearsheimer und Jeffrey Sachs über

Die amerikanische Außenpolitik

All-in Summit in New York am 16. September 2024
Erschienen in Free21 Nr.6, Dezember 2024

Es geht uns hier im Wesentlichen um Jeffrey Sachs' Einschätzung der US-Außenpolitik

(...)

Sollten die USA ihre Macht gegen Diktatoren einsetzen?

Jason Calacanis: Professor Mearsheimer, wenn wir über Macht sprechen, dann gibt es andere Menschen auf der Welt, die versuchen, Macht an sich zu reißen. Wir leben derzeit in einer multipolaren Welt und in einigen Fällen gibt es sehr ruchlose oder schlechte Absichten, und es sind keine Demokratien. Es ist also eine Sache, den Menschen in Afghanistan zu sagen: „Ihr müsst euch weiterentwickeln, um eine perfekte Demokratie zu werden, so wie wir sie hier haben.“ Ich denke, wir sind uns alle einig, dass das unrealistisch, verrückt und nicht praktikabel ist.

Aber wie wäre es, wenn sich die freien Länder der Welt zusammenschließen, um Diktatoren daran zu hindern, in andere freie Länder einzumarschieren? Wäre das nicht nobel? Wäre das eine gute Art der Machtausübung und ein guter Rahmen, in dem sich Amerika weiterentwickeln kann?

John Mearsheimer: Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, die Vereinigten Staaten sollten sich um ihre eigenen nationalen Interessen kümmern. In manchen Fällen bedeutet das, dass wir uns mit einem Diktator verbünden müssen. Wenn wir den Zweiten Weltkrieg noch einmal durchkämpfen müssten – so wie am 8. Dezember 1941 – Sie wären sicherlich dafür, sich mit Josef Stalin und der Sowjetunion gegen Adolf Hitler und Nazideutschland zu verbünden. Manchmal muss man solche Kompromisse eingehen. Wie ich bereits sagte, liebe ich die liberale Demokratie. Ich habe kein Problem damit, mich liberalen Demokratien anzuschließen. Aber wenn wir anfangen, so zu denken wie Sie, dann entsteht der Impuls, weltweit Social Engineering, soziale Beeinflussung, zu betreiben und dann handelt man sich alle möglichen Schwierigkeiten ein.

Jason Calacanis: Ich schlage vor, dass wir Maßnahmen ergreifen, wenn Diktaturen in andere Länder einmarschieren. Vielleicht sollten wir diese Länder verteidigen.

John Mearsheimer: Das kommt natürlich darauf an. Ich meine, wenn Russland in die Ukraine einfällt, dann sagen Sie im Grunde, dass Sie im Namen der Ukraine gegen Russland in den Krieg ziehen wollen. Befürworten Sie das?

Jason Calacanis: Nein, ich würde sagen, dass wir natürlich zunächst alle Möglichkeiten der Diplomatie ausschöpfen sollten. Aber wenn sie in andere freie Länder einmarschieren, dann sollten sich die freien Länder der Welt meiner Meinung nach zusammentun und den Diktatoren sagen: „Das werden wir nicht zulassen“.

Jeffrey Sachs: Ich möchte ein paar Dinge klarstellen. Zunächst einmal intervenieren wir fast immer, weil wir dies als eine Machtfrage für die USA betrachten. Ob es sich um die Ukraine, Syrien, Libyen oder andere Orte handelt. Selbst wenn wir es als Verteidigung von etwas definieren – glauben Sie mir, es geht nicht um die Verteidigung von etwas. Es geht um die Wahrnehmung der Macht der USA und der Interessen und Ziele der USA in Bezug auf die globale Hegemonie.

Wenn wir den Ukraine-Konflikt analysieren – nur ein klein wenig unter der Oberfläche – stellen wir fest, dass es sich hierbei nicht um einen Konflikt handelt, bei dem Putin in die Ukraine einfällt. Das ist etwas ganz anderes. Es geht um die Machtprojektion der USA auf die ehemalige Sowjetunion, und das ist etwas völlig anderes.

Zweitens: Wenn wir uns entscheiden, die Polizei zu sein, was wir tun, können Sie sich nicht vorstellen, mit welch zynischem Schwachsinn wir unsere Handlungen rechtfertigen. Wir haben den zynischen Schwachsinn benutzt, dass wir „die Menschen in Bengasi verteidigen“, um Libyen in Schutt und Asche zu bombardieren und Muammar al-Gaddafi zu töten. Warum haben wir das getan? Nun, ich bin so etwas wie ein Experte für diese Region, und ich kann Ihnen sagen, vielleicht weil Sarkozy Gaddafi nicht mochte. Es gibt keinen tieferen Grund, außener dass Hillary jede Bombardierung unterstützte, die sie in die Finger bekommen konnte, und Obama war irgendwie überzeugt: „Meine Außenministerin sagt, wir sollen mitmachen. Warum machen wir also nicht bei der NATO-Expedition mit?“

Es hatte gar nichts mit Libyen zu tun. Es hat 15 Jahre Chaos ausgelöst. Wir haben den UN-Sicherheitsrat hintergangen, weil es, wie alles andere, was wir getan haben, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geschah. Dasselbe taten wir mit dem Versuch, Syrien zu stürzen. Dasselbe taten wir mit der Verschwörung zum Sturz von Wiktor Janukowytsch in der Ukraine im Februar 2014.

Das Problem bei diesem Argument ist also, dass wir keine netten Jungs sind. Wir versuchen nicht, die Welt zu retten. Wir versuchen nicht, Demokratien zu schaffen.  Wir hatten ein Komitee – mit all den Koryphäen, die man nennen könnte, aber es sind die verrückten Neokonservativen, auch wenn sie Koryphäen sind. Das Komitee für das tschetschenische Volk z.B., war nicht mehr als ein Scherz. Glauben Sie, dass sie überhaupt wussten, wo Tschetschenien liegt, oder dass sie sich für Tschetschenien interessierten?

Aber es war eine Gelegenheit, Russland anzugreifen, Russland zu schwächen und eine dschihadistische Bewegung in Russland zu unterstützen. Das ist ein Spiel. Aber es ist das Spiel, das John besser als jeder andere auf der Welt beschrieben hat. Es ist ein Spiel um Macht.

Es ist nicht so, dass wir echte Dinge verteidigen. Wenn Sie echte Dinge verteidigen wollen, gehen Sie zum UN-Sicherheitsrat und überzeugen andere, denn die anderen Länder sind nicht verrückt und sie wollen kein Chaos in der Welt. Aber wir spielen Spiele. Der Irak war offensichtlich ein Spiel, bevor wir dort einmarschierten. Colin Powell konnte an diesem Tag ganz offensichtlich seine Lippen nicht bewegen, ohne zu lügen. Aber wenn wir unsere Interessen wirklich vertreten wollen, dann sollten wir zum UN-Sicherheitsrat gehen. Dann geht es nicht nur um uns, sondern es ist dann tatsächlich eine Frage der kollektiven Sicherheit.
(Hervorhebungen bm)

 






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